Muttermilchernährung und Stillen von Frühgeborenen

Die folgende Artikelreihe über Muttermilchernährung und Stillen von Frühgeborenen wendet sich an betroffene (werdende) Mütter: An Schwangere, die wegen drohender Frühgeburt zu Hause oder in der Klinik verweilen und an Mütter, die ihr Baby (oft unerwartet) zu früh bekommen haben und nun eine Anleitung brauchen, wie sie die großen Herausforderungen ihrer Situation meistern können, wie sie ihre Milchbildung aufbauen und wie sie später zum Stillen übergehen können.

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Thea Juppe-Schütz
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Katja Biernath-Kruse

Autorinnen und Mitwirkende:

Thea Juppe-Schütz, Fach­kinder­kranken­schwes­ter für Anästhesie und Intensivmedizin, Still- und Laktationsberaterin IBCLC seit 1998, über 10 Jahre Stillbeauftragte einer zertifizierten BFHI-Geburtsklinik in einem Perinatalzentrum Level 1, seit 2004 Gutachterin der WHO/UNICEF-Initiative Babyfreundlich e.V. (BFHI), seit 2012 angestellte Still- und Laktationsberaterin im ambulanten Bereich mit dem Fokus auf komplexe Stillprobleme.

Katja Biernath-Kruse, Hebamme, Still- und Laktationsberaterin IBCLC seit 2014, Stillberaterin und Stillbeauftragte an einer Hamburger Klinik und Autorin der Kolostrumkarte.

Dr. Zsuzsa Bauer, Betreiberin des Still-Lexikons, hat den Beitrag mit weiteren Informationen ergänzt, lektoriert und für die Publikation aufbereitet. Eva Vogelgesang, Still- und Laktationsberaterin IBCLC und pflegerische Leiterin einer neonatologischen Intensivstation, hat inhaltliche Anregungen gegeben und Fotos zur Verfügung gestellt.

Inhaltsübersicht:

  1. Drohende Frühgeburt: Was kann ich für mein Kind jetzt tun?
  2. Muttermilch: Medizin für Frühgeborene
  3. So wird Ihr frühgeborenes Baby ernährt
  4. Aufbau und Aufrechterhaltung der Milchbildung nach Frühgeburt
  5. Aufenthalt in der Klinik
  6. Heimkehren mit dem frühgeborenen Baby
  7. Etablierung des Stillens an der Brust
  8. Interviews mit betroffenen Müttern

1. Drohende Frühgeburt: Was kann ich für mein Kind jetzt tun?

2. Muttermilch: Medizin für Frühgeborene

3. So wird Ihr frühgeborenes Baby ernährt

4. Aufbau und Aufrechterhaltung der Milchbildung nach Frühgeburt

5. Der Aufenthalt in der Klinik

6. Heimkehren mit dem frühgeborenen Baby

7. Etablierung des Stillens an der Brust

Quellenverzeichnis

  • Benkert B: Das Stillbuch für besondere Kinder. 2. Aufl., Hogrefe, 2017.
  • Cattaneo et al. 1998: Kangaroo mother care for low birthweight infants: a randomized controlled trial in different settings. Acta Paediatr 1998;87:976-85.
  • Charpak et al.: Kangaroo mother care (KMC): A method of protecting high-risk premature infants. In: Pediatric Academic Societies, Annual Meeting. New Orleans, LA, 1998.
  • Collins CT, Gillis J, McPhee AJ, Suganuma H, Makrides: Vermeidung von Flaschenfütterung während der Stillgewöhnung von Frühgeborenen. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016, Issue 10. Art. No.: CD005252. DOI: 10.1002/14651858.CD005252.pub4. https://www.cochrane.org/de/CD005252/vermeidung-der-flaschenfutterung-wahrend-der-stillgewohnung-von-fruhgeborenen
  • Friedli KRU: Erfolgreich zum Stillen Frühgeborener. Bachelorarbeit, Züricher Institut für angewandte Wissenschaften, Institut für Pflege, 2016, https://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/1114/1/Friedli_Katharina_Renate_Ulrika_Dipl.%20PF%2014_BA.pdf
  • Giebel U: Hilfe zum entspannten Pumpen. Vortrag auf dem BDL-Kongress in Fulda, April 2019.
  • Kühn T (Hrsg.): Muttermilchernährung bei Frühgeborenen. Uni-Med, 2015
  • Kühn T: Gewichtsentwicklung und Ernährung von Frühgeborenen. Laktation & Stillen 2019;2.
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  • Walker M: Brestfeeding management for the clinician. Using the evidence. 4. Aufl., 2017, S. 426 ff.
  • Yen S, Jaffe R: Prolactin in the human reproduction. In: Reproductive Endocrinology. 4. Aufl. Philadelphia WB Saunders Co.

Silhoutte von einer interviewten Mutter8. Interviews mit betroffenen Müttern

Claudia, Mutter eines frühgeborenen Sohnes (36. SSW)

Claudia hat ihren Sohn im Frühjahr 2018 vier Wochen zu früh bekommen. Im folgenden Interview erzählt sie über die Höhen und Tiefen im Krankenhaus und zu Hause, die ersten Schwierigkeiten mit dem Stillen und einen glücklichen Ausgang. Neben der Frühgeburt wurde der Stillstart bei ihrem Baby durch ein zu kurzes Zungenband erschwert. Dank einer erfahrenen Stillberaterin konnten alle Hürden gemeistert werden, sodass sie ihr Baby heute ausschließlich stillen und in vollen Zügen genießen kann.

Liebe Claudia, wie ist es bei Dir zur Frühgeburt gekommen?

Eigentlich habe ich mich die ganze Schwangerschaft über super gefühlt. Alles war wunderbar. Bei einer Routineuntersuchung acht Wochen vor der Geburt stellte meine Frauenärztin fest, dass mein innerer Muttermund schon geöffnet bzw. mein Gebärmutterhals verkürzt war. Im Krankenhaus, wo sie mich sofort hinschickte, wurde der gleiche Befund festgestellt, mit leichter Wehentätigkeit. Ich wurde stationär aufgenommen, erhielt Wehenhemmer und mein Kind (über mich) Lungenreifespritzen für den Fall, dass es bald auf die Welt kommt. Nach vier Tagen konnte ich mit der Anweisung entlassen werden, möglichst viel zu liegen und mich nicht mehr viel zu bewegen.

Durch die Schonung und das Liegen konnte die Geburt um vier Wochen hinausgezögert werden, sodass mein Sohn nur vier anstatt von acht Wochen zu früh gekommen ist. Eines nachts verlor ich den Zervixschleimpropf und es tropfte etwas Nasses, offenbar Fruchtwasser heraus. Auf die Anweisung meiner Hebamme fuhr ich am Nachmittag ins Krankenhaus, wo ich wieder stationär aufgenommen wurde. Da die Fruchtblase schon geöffnet war und Infektionsgefahr bestand, erhielt ich einen natürlichen Wehencocktail, um die Geburt einzuleiten. Nach etwa acht Stunden anstrengender Geburt mit vielen Höhen und Tiefen war der kleine Mann endlich da!

Wie verlief die erste Zeit nach der Geburt?

Wir hatten nach der Geburt etwa fünf Minuten Kuschelzeit, da musste er zum Kinderarzt, weil seine Atmung nicht in Ordnung war. Ich glaube, er hechelte ein bisschen und sein Zuckerwert war auch im Keller. Nach der ersten Untersuchung beim Kinderarzt wurde er mir wieder gebracht und wir durften vielleicht eine Viertelstunde miteinander kuscheln. Da konnte ich ihn das erste Mal ganz kurz anlegen. Ich wusste nicht, worauf ich achten und wie ich ihn am besten anlegen sollte. Er saugte zwar sehr stark, aber irgendwie war es trotzdem nicht das Gelbe vom Ei. Er wurde auf die Überwachungsstation der angeschlossenen Kinderklinik verlegt und ich kam auf die Wochenstation der Geburtsklinik. Es war natürlich nicht schön, direkt nach der Geburt getrennt zu werden: Man bekommt ein Baby und wird gleich von ihm getrennt. Die Schwestern fuhren mich mit meinem Bett auf seine Station, wo wir noch einmal „bonden“ durften. Ich schob ihn unter mein Unterhemd und da lag er eine ganze Weile. Das war schön für uns beide. Wir hatten Glück, dass zu diesem Zeitpunkt nicht so viele Babys auf der Station lagen. Sonst wäre dies nicht möglich gewesen.

Wie ging es mit dem Wochenbett weiter?

Ich lag auf der Wöchnerinnenstation und sollte meine Milch ausstreichen. Dort arbeitete eine Stillberaterin, die mir zeigte, wie das geht. Ich strich das Kolostrum etwa fünfmal am Tag aus, zog sie in kleine Spritzen auf und brachte sie auf die Station meines Sohnes, wo ich oder die Schwestern meinen Sohn damit fütterten. Am Anfang konnte ich nur wenige Milliliter Kolostrum pro Seite gewinnen. Sobald die Milch besser lief, ab dem dritten Tag, pumpte ich die Milch alle drei Stunden ab und mein Sohn wurde alle drei Stunden damit gefüttert. So bin ich Tag und Nacht auf seine Station gegangen und brachte ihm die abgepumpte Milch. In der Zeit hatte ich noch ziemlich viel Milch. Die Menge stieg auf 50-60 ml pro Seite. Das lief erstaunlich gut!

Mein Freund und ich wurden in die Versorgung unseres Sohnes schon sehr eingebunden. Wir sollten jeden Tag ein bisschen mehr selber machen. Wir sollten jeden Tag Temperatur messen, ihn wiegen, ankreuzen, ob er Stuhlgang oder nur Urin hatte und alles in eine Liste eintragen. Das musste alles genau dokumentiert werden. Es war schön, dass wir ihn immer besuchen durften und uns um ihn kümmern konnten. So hatten wir das Gefühl, etwas Gutes für ihn tun zu können.

Wie haben Sie sich im Krankenhaus aufgehoben gefühlt?

Aus medizinischer Sicht haben wir uns gut versorgt gefühlt, aber es war auch eine sehr stressige Zeit. Das Füttern und Wickeln hat alleine schon eine Stunde gedauert. Dann musste ich wieder abpumpen. Dann hatte ich eine Stunde Zeit bis zur nächsten Fütterung und so ging es weiter den ganzen Tag und die ganze Nacht. Zwischendurch habe ich mich natürlich auch mal hingelegt. Unser Sohn hat nach der Geburt außerdem zu viel Gewicht verloren. Das Personal war sehr darauf bedacht, dass er zunimmt. Diesen Druck habe ich als sehr stressig empfunden. Im Nachhinein weiß man ja warum, weil er eben dieses Zungenband hatte. Das hat im Krankenhaus aber niemand kontrolliert …

Was das Stillen und das Betreuen angeht, habe ich mich nicht so gut aufgehoben gefühlt. Es gab eine oder zwei Schwestern, die sich mehr Zeit genommen oder es zumindest versucht haben. Wenn die eine besondere Schwester, die mich unterstützt und sich auch mal neben mich gesetzt hat, keinen Dienst hatte, war ich ganz allein. Ich hätte mir gewünscht, auch in der Kinderklinik eine Stillberaterin zu haben. Auf der Wöchnerinnenstation hat mir die Stillberaterin nichts gebracht. Ich hätte sie auf der Station meines Sohnes gebraucht.

Besonders unter Druck gesetzt hat mich eine Nachtschwester. Sie meinte, das Füttern und Wickeln dauere zu lange und müsse schneller gehen: „Das sei für meinen Sohn zu anstrengend. Er soll jetzt wieder zurück ins Bettchen.“ Sie meinte, er brauche auch seine Erholungsphasen zwischen diesen Fütterungszeiten. Ich habe natürlich lange versucht, dass er an meiner Brust trinkt, weil ich unbedingt stillen wollte. Ich hatte ihn immer wieder angelegt und auch wach gehalten, damit er trinkt. Die Schwester drohte, wenn das mit der Fütterung nicht klappt, dann müssen wir eine Magensonde legen. Dieser Druck war kontraproduktiv. Ich hätte mir mehr Ruhe und Zeit für das Stillen gewünscht.

Wie ging es nach der Entlassung weiter?

Am sechsten Tag wurden wir entlassen und bekamen eine Milchpumpe auf Rezept. Ich habe irgendwann aufgehört zu pumpen. Ich dachte, es lohnt sich nicht mehr, es kommt eh so wenig raus. Gleichzeitig nahm unser Sohn sehr wenig zu. Er saugte nur ein bisschen und schlief beim Trinken immer wieder ein. Das reichte nicht, um meine Milchbildung aufrechtzuerhalten. Frau Juppe-Schütz, unsere Stillberaterin, die wir zum Glück nach der Entlassung kontaktiert hatten, entdeckte beim ersten Blick in seinen Mund sofort, dass unser Sohn ein zu kurzes Zungenband hatte. Es wurde auf ihren Rat beim Zahnarzt wenige Tage später getrennt. Das war schon zwei Wochen nach der Geburt.

Zwischendurch gaben wir unserem Sohn zusätzlich Pulvermilch, damit er zunimmt, auch weil ich nicht mehr genügend Milch hatte. Frau Juppe-Schütz empfahl, fünfmal am Tag zu pumpen, egal wie wenig Milch rauskommt: „Es wird peu à peu mehr werden.“ Genauso war es auch. Das hat sich kontinuierlich immer weiter gesteigert. Manchmal zwar in kleinen Schritten, wo ich dachte: „Das ist mir zu langsam, das muss schneller gehen.“ Mit Geduld und Spucke haben wir es doch geschafft, dass meine Milchmenge wieder da war. Frau Juppe-Schütz hat uns ein Programm erstellt: Zuerst sollte mein Sohn an der Brust ohne alles saugen und seine neue Zungentätigkeit erstmal kennenlernen und weiter ausbauen. Danach sollte ich die abgepumpte Muttermilch aus einem Fläschchen, das zwischen meinen Brüsten stand, über einen Magensondenschlauch, der an meine Brustwarze geklebt war, geben. Darüber bekam mein Sohn zusätzlich die abgepumpte Muttermilch. Wir haben es meistens so gemacht, dass er an der einen Brust komplett alles trinken konnte, solange wie er zufrieden war. Wenn ich gemerkt habe, dass er unruhig wird oder einschläft, dann habe ich an meiner anderen Brust den Schlauch angeklebt, sodass er trinken konnte und mit der zusätzlich abgepumpten Muttermilch auch satt wurde.

Das war zunächst natürlich eine Übungsfrage. Man musste sich erstmal reinfuchsen. Aber nach fünf oder sechs Tagen hatten wir das ganz gut raus. Es hat dann super geklappt. Unser Sohn hat gut zugenommen. So haben wir ihn peu à peu aufpäppeln können. Einmal die Woche hatten wir einen Termin bei Frau Juppe-Schütz. Sie hat ihn jedes Mal gewogen. Sie hat geguckt, wie er trinkt, was man noch verändern kann, und so ging es Schritt für Schritt bergauf.

Seit zwei Wochen stille ich ihn voll und das klappt wunderbar. Er hat super zugenommen, sodass er richtige Speckbeinchen bekommen hat. Das hätten wir uns vorher gar nicht vorstellen können. Als Frühchen wirkte er wie ein kleines Vögelchen und jetzt ist er ein richtiges kleines Baby mit richtigen Speckärmchen und Speckbeinchen.

Wie ging es Ihnen gefühlsmäßig in dieser Zeit?

Es war eine sehr bewegende und anstrengende Zeit. Ich habe oft geweint: Wenn es nicht vorwärts ging, oder nicht so schnell, wie ich es mir gedacht hätte, dass es vorwärts gehen sollte. Oder wenn ich das Gefühl hatte, ich habe zu wenig Milch, die Milchmenge reicht nicht. Das bildet man sich oft ein, obwohl das Weinen meines Sohnes gar nichts damit zu tun hatte. Ich habe das falsch interpretiert.

Diese erste Zeit war auch für unsere Beziehung als Paar sehr anstrengend. Es war schwer für meinen Freund, mich leiden zu sehen, neben mir zu sitzen und sich das anzusehen. Er hat irgendwann gesagt: „Wir lassen es mit dem Stillen. Das ist kein Zustand.“ Ich kam außerdem kaum zum Schlafen und war völlig übermüdet. So kam eins zum anderen. Da lagen die Nerven blank. Es war eine echte Probe für unsere Beziehung. Ich bin stolz darauf, dass wir es zusammen gemeistert haben und jetzt ein Stillkind haben. Diese Erfahrung hat uns noch mehr zusammengeschweißt.

Haben Sie mit Ihrem Kind Haut-zu-Haut-Kontakt praktizieren können?

Den Hautkontakt haben wir im Krankenhaus wirklich sehr wenig praktizieren können. Wir haben das zu Hause nachgeholt. Dort haben wir täglich und irgendwann alle zwei Tage „gebondet“. Ich hatte das Gefühl, wir haben viel Kuschelbedarf und wir müssen das nachholen.

Im Nachhinein denke ich, dass ich kein Wochenbett hatte. Ich musste sehen, dass er satt wird, dass es ihm gut geht. Ich musste sehen, dass er zunimmt. Das emotionale Wochenbett hat mir sehr gefehlt. Ich konnte mich nicht zurücklehnen. Ich konnte ihn nicht einfach nur so zu mir ziehen und mit ihm kuscheln. Ich musste funktionieren. Ich habe zum ersten Mal nach einem Monat im Liegen in meinem Bett gestillt. Da habe ich zum ersten Mal gedacht: „Ach, Stillen ist auch was Schönes. Es hat was Emotionales.“ Da konnte ich zum ersten Mal nach langer Zeit mein Kind genießen: „Ich habe ein Baby!“

Im Krankenhaus haben Sie das Bonding also nicht praktizieren können?!

Kaum. Er musste in seinem Bett liegen, damit er in den Schlaf finden und sich erholen konnte. Das hat mich so verunsichert! Deshalb habe ich ihn nicht aus seinem Bettchen genommen. Ich dachte, ich tue ihm damit nichts Gutes. Heute denke ich, dass das Kind am besten bei seiner Mutter aufgehoben ist. Ich habe festgestellt, dass er dann am besten schläft, wenn er im Tuch an meinem Körper ist. Heute trage ich ihn mindestens sechs Stunden am Tag, weil ich merke, dass er diese Nähe braucht und großen Nachholbedarf hat.

Was würden Sie während des Klinikaufenthalts im Rückblick anders machen?

Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass ich resoluter gewesen wäre, besser auf meine Intuition als Mutter gehört und mich besser behauptet hätte. Ich habe mich zu sehr zurückgehalten und belabern lassen. Ich dachte, was die Schwester sagt, ist Gesetz. Ich habe – aufgrund dieses emotionalen Ausnahmezustandes – mir selber nicht mehr vertraut. Ich war eher Passagier als dass ich selber gefahren bin. Vielleicht war mein Gefühl doch richtig, ich hätte einfach nur mehr sagen müssen.

So hatte ich immer das Gefühl, ich muss fragen, ob ich mein Kind hochnehmen darf. Aber als Mutter hat man doch eigentlich ein gutes Bauchgefühl! Man sollte darauf hören! Hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört, dann hätte ich ihn öfter aus seinem Bettchen genommen. Dann hätte ich ihn öfter zu mir genommen und mit ihm gekuschelt. Man sollte seine Ängste, Wünsche und Sorgen den Schwestern gegenüber äußern. Im Krankenhaus habe ich mich das aber nicht getraut. Da war ich ganz komisch, ganz gehemmt, ganz unsicher – Ich habe mich verunsichern lassen! Ich hatte in dem Moment hormonell bedingt auch nicht das nötige Selbstvertrauen. Das war ganz komisch.

Oder ich hätte die Stillberaterin von der Wochenstation fragen können, ob sie mit mir auf die Station meines Sohnes kommen und gucken könnte, ob ich alles richtig mache. Ich hätte ihre Hilfe beim Anlegen und Stillen mehr gebraucht als an der Pumpe. Ich hätte sie ja fragen können, aber ich habe mich nicht getraut. Ich dachte, ich störe, sie haben schon so viel zu tun, ich will sie nicht belasten, da komme ich noch mit meinen Sonderwünschen, das kann ich nicht machen. Aber eigentlich ist das doch Quatsch, man kann doch fragen. Sie kann auch Nein sagen, aber zumindest hätte ich gefragt.

Ich wünschte, ich hätte mich auch von dieser einen Schwester nicht so unter Druck setzen lassen, die mit der Magensonde drohte. Immerhin habe ich diese Drohung am nächsten Tag bei der Ärztin hinterfragt. Mein Sohn bekam schließlich keine Magensonde.

Was würden Sie heute anderen Müttern empfehlen, die in einer ähnlichen Situation sind, wie Sie damals waren?

Ich hätte folgende Empfehlungen für die Klinikzeit:

  • Seine Bedürfnisse, Ängste, Sorgen und Wünsche gegenüber dem Personal klar formulieren.
  • Bei sich bleiben und sich nicht aus seiner eigenen Mitte schubsen zu lassen.
  • Fragen stellen, die als Mutter aufkommen und nicht denken: „Ich störe.“ Auch wenn man mehrmals fragen muss.
  • Mitreden! Sich einmischen, es ist MEIN Kind! Dieses Gefühl hatte ich am Anfang nicht, da mir die Schwestern und Ärzte das Gefühl vermittelt haben, dass sie für mich entscheiden!
  • „Diagnosen“ hinterfragen! „Entscheidungen“ hinterfragen! Bedenken und Wünsche äußern.

Meine Empfehlungen für zu Hause:

  • Hilfe von der Familie, den Freunden und Nachbarn anfragen und anmelden
  • Direkt eine Stillberaterin kontaktieren, die sich mit Stillen bei Frühgeburt auskennt.
  • Sich selber und seinem „Mama-Gefühl“ vertrauen
  • Wochenbett leben so gut es geht! Der Haushalt und ein perfektes Aussehen können warten.
  • Tränen laufen lassen! Das tut gut.
  • Wenn möglich, mit anderen Müttern sprechen. Es tut gut zu hören, dass man mit seinen Sorgen nicht alleine ist. Auch Mütter von reifgeborenen Babys haben gleiche oder ähnliche Päckchen zu tragen.
  • Sich immer wieder bewusst machen, dass das Baby eigentlich noch im Bauch wäre. Das hilft manchmal geduldiger mit ihm zu sein.
  • Auf seinen Körper und die Geburtsverletzungen achten.
  • Nur wenn es mir gut geht, kann ich mein Kind versorgen.
  • Genug essen und trinken!
  • Seinen Eisenwert kontrollieren lassen und entsprechend etwas dafür einnehmen, z. B. Kräuterblut.

Liebe Claudia, vielen Dank für diese tollen Tipps und dass Sie Ihre persönliche Geschichte mit anderen Müttern teilen. Wir wünschen Ihnen und Ihrer kleinen Familie alles Gute für die Zukunft.

Wir danken der Still- und Laktationsberaterin Thea Juppe-Schütz für die Vermittlung von Claudia als Interviewpartnerin.

Bianca, Mutter von frühgeborenen Zwillingen (27. SSW.)

Bianca hatte bereits zwei Kinder (damals 8 und 2) als sie 2006 mit Zwillingen schwanger wurde. Aufgrund von Komplikationen in der Schwangerschaft kamen die Zwillinge in der Schwangerschaftswoche 27+0 auf die Welt, eins der Kinder kämpfte ums Überleben. Während des Klinikaufenthalts konnte Bianca für beide Kinder reichlich Milch bilden: Da sie ihre beiden älteren Kinder erfolgreich vollstillen konnte, kam sie ohne Probleme wieder in die Milchbildung. Heute sind die Zwillinge bereits zehn Jahre alt. Das gesündere Zwillingskind besucht die Regelschule, das zur Geburt schwer kranke Kind lebt zwar sowohl im motorischen als auch im kognitiven Bereich mit Beeinträchtigungen, aber es ist ein lebensfrohes, reflektiertes Kind. Bianca erzählt im folgenden Interview, wie es war, mit der Ungewissheit zu leben, ob die Kinder überleben und ob sie ein schwer behindertes Kind haben wird. Sie gibt Tipps, was helfen kann, diese Situation zu überstehen.

Liebe Bianca, wie kam es zur Frühgeburt?

In der 15. Schwangerschaftswoche habe ich aufgrund eines leichten Magen-Darm-Infekts mit Magenkrämpfen einen Blasensprung in einer der beiden Fruchtblasen bekommen. Dann war es klar, dass früher oder später eine Infektion erfolgen wird. Es hieß „Das Kind kann so nicht überleben, die Lunge kann sich ohne Fruchtwasser nicht entwickeln.“ „Wenn Sie Glück haben, überlebt ein Kind. Das andere Kind wird sterben – vielleicht nicht heute, vielleicht nicht nächste Woche.“ „Wenn Sie Glück haben, beendet der Körper die restliche Schwangerschaft nicht.“

Die Eihäute haben sich wohl immer wieder verklebt, sodass kein Fruchtwasser abgegangen war. Die längste Zeit ohne Fruchtwasserverlust waren, glaube ich, zwei Wochen. Je größer die Kinder wurden, umso mehr bewegten sie sich. So ist immer wieder Fruchtwasser abgegangen. Ich lag in dieser Zeit oft in der Klinik. Das Fruchtwasser füllte sich mehrfach wieder auf und lief dann wieder ab. Die Kinder haben die Spritze für die Lungenreifung gekriegt. Die Geburt konnte noch weitere 12 Wochen hinausgezögert werden.

Diese Schwangerschaft war furchtbar. Ich lag viel da und traute mich kaum zu bewegen, aufzustehen oder auf Toilette zu gehen, in der Angst, dass wieder Fruchtwasser abgeht. Ich fühlte mich verantwortlich für das Überleben und die Gesundheit meiner Kinder.

Wie verlief die Geburt?

Ich lag immer wieder im Krankenhaus, weil Fruchtwasser abgegangen war. Meine älteren Kinder waren zu diesem Zeitpunkt zu Hause, der Kleine war erst zwei Jahre alt. Ich lag in der Klinik und spürte, dass Wehen kommen. Das CTG bestätigt dies. Ich hatte durch eine Infektion schon vor der OP gefiebert, mit Schüttelfrost und Zittern. Die Kinder wurden per Kaiserschnitt geholt. Es war ein großes Glück, dass das Kind mit der intakten Fruchtblase unten lag, sonst hätte das Kind mit der geplatzten Fruchtblase nicht überlebt. Meine erste Frage war, ob beide atmen. Ja, sie atmeten und lebten beide, wurden aber umgehend intubiert. Das Kind, das im Trockenen lag, hatte eine schwere Infektion. Der andere Zwilling hatte im Grunde genommen nichts, war nur zu früh geboren. Beide Kinder mussten schnell auf die Intensivstation gebracht werden. Sie konnten nicht selbstständig atmen. Es war zu diesem Zeitpunkt unklar, ob beide überleben würden. Ein Baby wog knapp über, das andere knapp unter 1000 Gramm. Ich erhielt direkt im OP Ibuprofen und ein Antibiotikum, die Kinder auch.

Sie waren wahrscheinlich sehr glücklich, dass beide Kinder leben, nicht wahr?

Wir waren zwar erleichtert, hielten es aber für eher unwahrscheinlich, dass beide überleben. Der kranke Zwilling hatte am Tag nach der Geburt auch eine Gehirnblutung und dadurch Krampfanfälle. Er hatte auch Schwierigkeiten, bis er abführen konnte, es dauerte ein paar Tage. Wir hatten noch kurz zuvor mit dem leitenden Oberarzt gesprochen und gesagt, wir wollen nicht nur gesunde, perfekte Kinder haben, aber ein ganz stark leidendes Kind darf auch sterben dürfen.

Wie ging es weiter mit den Kindern?

Beide Kinder waren auf der Neugeborenenintensivstation. Ich war zunächst auf der Wöchnerinnenstation und hatte ein Zweierzimmer mit einer Frau zusammen, die auch ein krankes Kind hatte. Beide meiner Zwillinge hatten eine Magensonde und waren zunächst intubiert, danach erhielten sie Atemunterstützung mithilfe von CPAP und später einer Nasenbrille, der schwer kranke Zwilling länger als der andere. Das minimale Gewicht lag bei ihm bei 680 g. Er hat durch die Gehirnblutung einen Hydrocephalus entwickelt. Er sollte einen Shunt bekommen, um Hirnwasser abzuziehen, aber zunächst war er zu klein und seine Eiweißwerte waren zu hoch. Durch den erhöhten Hirndruck funktionierte auch die Atmung schlechter. Nach etwa zwei Wochen wussten wir, dass er überleben wird. Beim anderen Zwilling ging alles viel schneller und unkomplizierter.

Wie wurden die Milchbildung und das Stillen initiiert?

Die Stillberaterin stand bald nach der Geburt in meinem Zimmer und verkündete, dass es jetzt mit dem Abpumpen losgeht. Ich pumpte etwa alle drei Stunden ab und brachte meine Milch auf die Frühchenstation. Sie wurde verfüttert oder kam in den Tiefkühler. Zu Hause pumpte ich weiter ab und brachte die Milch ins Krankenhaus. In der Klinik konnten beide Kinder vollständig mit meiner Milch ernährt werden. Meine Brüste spulten ihr Programm ab, das sie von den beiden früheren Stillzeiten kannten.

Meine beiden Großen habe ich tagsüber immer alle zwei Stunden gestillt. Daher empfand ich alle 3 Stunden Pumpen nicht so schlimm. Ich pumpte immer sehr konsequent ab, aber immer drei Stunden werden das nicht gewesen sei.

Wann die beiden Kinder zum ersten Mal angelegt wurden, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, solange sie mit dem CPAP beatmet wurden, wäre ein Anlegen gar nicht möglich gewesen. Sobald sie dafür stabil genug waren, legte ich sie an, wenn ich im Krankenhaus war und es passte. Sie hatten in der Anfangszeit nur ganz wenig Kraft beim Trinken. Was sie konnten, tranken sie an der Brust, der Rest wurde sondiert. Wenn ich nicht da war, wurden sie auch mit dem Habermann-Sauger ernährt.

Mit der Zeit konnten die Zwillinge kräftiger saugen und das Stillen wurde immer mehr und mehr. In der ersten Zeit kriegten sie beim Stillen öfter ein graues Mund-Dreieck aufgrund von Bradykardien. Dann verändert sich der Herzschlag und die Atmung, die Sauerstoffsättigung fällt ab. Die Schwestern in der Klinik haben in der Situation an den Füßen geknetet, das haben wir zu Hause fortgesetzt. Nach zwei Wochen war es kein Thema mehr.

In der Klinik konnte zuerst der gesündere Zwilling gestillt werden, weil er stabiler war. Da hatte er mindestens noch die Sauerstoffbrille. Wenn die Frühchen noch so ganz klein und zart sind, ist das Handling noch recht schwierig. Beide gleichzeitig zu stillen, war damals noch nicht möglich, nur hintereinander, auch weil sie zu unterschiedlichen Zeiten wach waren. Zu Hause habe ich beide oft gleichzeitig gestillt. Dann habe ich versucht mir zu merken, welches Kind welche Seite hatte und dann beim nächsten Mal getauscht, weil die eine Seite immer etwas mehr Milch hatte als die andere. Als sie größer waren, habe ich oft den einen Zwilling beide Seiten leer trinken lassen und dem anderen habe ich die Flasche gegeben. Und das nächste Mal dann umgekehrt. Ich hatte nicht den Anspruch, beide Kinder vollzustillen. Insgesamt habe ich sie 8–9 Monate gestillt.

Konnten Sie mit Ihren Kindern Hautkontakt praktizieren?

Am Anfang nicht. Beide Kinder lagen im Inkubator und wurden beatmet, das kränkere Kind mit der Hirnblutung war auch sediert. Aber wir konnten unsere Hand im Inkubator auf sie legen. Sie mögen es lieber, wenn man die Hand großflächig auflegt.

Als sie stabil genug waren, konnten wir uns neben den Inkubatoren auf Liegestühlen bequem hinlegen und ausziehen. Die Schwestern legten das Baby auf die Brust, legten noch eine Decke drüber und so konnte man mit dem Baby kuscheln. Das haben wir so gut wie täglich praktiziert. Die großen Kinder brachte ich morgens zur Schule und in die Krippe, dann fuhr ich ins Krankenhaus, wo ich ein paar Stunden verbrachte. Nachmittags holte ich die Kinder aus der Krippe und der Schule ab. Mein Mann fuhr nach der Arbeit ins Krankenhaus und kam anschließend nach Hause. Wenn die Kinder gerade wach waren, durfte auch er mit ihnen kuscheln. Extra geweckt wurden sie nicht.

Wie ging es mit den Kindern weiter?

Der gesündere Zwilling wurde 2,5 Monate nach der Geburt entlassen. Der andere Zwilling sollte wegen dem Hydrocephalus noch bleiben, um einen Shunt zu bekommen. Die OP wurde jedoch kurzfristig abgesagt. Der Arzt meinte, vielleicht braucht er doch keinen Shunt, er muss aber noch beobachtet werden. Er ist zum errechneten Geburtstermin, gute 3 Monate nach der Geburt entlassen worden.

Wussten Sie dann schon, wie sich die Kinder langfristig entwickeln werden?

Wir wussten, dass der eine Zwilling behindert sein wird. In welcher Form, das wussten wir nicht. Dass er eine Hirnschädigung hat, das wussten wir.

Wie geht es den Kindern heute?

Der Zwilling, der immer wieder ohne Fruchtwasser im Bauch lag und später die Gehirnblutung hatte, geht heute auf die Förderschule und kann mit 10 Jahren die Buchstaben und einzelne Silben lesen. Er rechnet immer noch nicht sicher im Zahlenbereich von 1 bis 10. Er kann reden, er kann sich ausdrücken, er braucht nur für lange Strecken einen Rollstuhl. Er kann mit dem Tablet umgehen und hat einen altersgemäßen Wortschatz.  Er kann nicht so gut sprechen, weil der Luftfluss durch die Spastik und die motorischen Einschränkungen eingeschränkt ist. Aber alles in allem geht es ihm gut. Der andere Zwilling ist praktisch durchgesegelt. Er ist vielleicht ein bisschen hibbelig, aber ansonsten ist er ein ganz normales Grundschulkind. Ich habe ihn in der Schule ein Jahr zurückgestellt und das war richtig so.

Haben Sie noch Tipps für andere betroffene Mütter?

  • Nicht googeln: Ich habe nichts gegoogelt über Blasensprung. Ich habe nichts gegoogelt direkt nach der Geburt, ob das Kind überlebt oder nicht. Es hätte mich verrückt gemacht, wenn ich hinterfragt hätte, ob wir im richtigen Krankenhaus sind und die richtigen Therapien kriegen. Hinterher habe ich mich natürlich schon informiert.
  • Mir hat es total gut getan, die Beleghebamme zu haben. Die hat auch die Schwangerschaft immer begleitet. Die Handynummer, die man sonst nur kurz vor dem Termin kriegt, hatte ich während der ganzen Schwangerschaft. Ich konnte immer anrufen: Gehe ich jetzt ins Krankenhaus, bleibe ich zu Hause … Auch nach der Geburt hatte ich mit ihr gute Gespräche, als ich auf der Intensivstation war und alles unklar war.
  • Gut überlegen, wem man was erzählt: Wenn es noch nicht sicher ist, ob die Kinder überleben, ob sie gesund oder mit Beeinträchtigungen entlassen werden, muss man sich gut überlegen, was man den Leuten erzählt, auf Whatsapp schreibt, oder ob man sich für zwei Wochen einigelt. Tut es mir gut, mit Leuten zu reden oder nicht? Mit wem tut es mir gut und mit wem nicht? Die Zeit auf der Intensivstation ist für die meisten Eltern eine große Krise.
  • Unsensiblen Menschen, die einem nicht gut tun, aus dem Weg gehen: Es gibt Leute, die einem nicht gut tun: Bei uns war es der Chefarzt der Neugeborenenintensivstation. Als unser Sohn die Hirnblutung gekriegt hat, hat der Chefarzt uns kurz darüber informiert und was passieren würde, wenn es noch kritischer würde (die Ethik-Kommission würde sich dann zusammensetzen und darüber beraten, ob lebensverlängernde Maßnahmen noch sinnvoll sind usw.). Die meiste Zeit hat der Chefarzt damit verbracht, uns zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung zu drängen. Wir müssten uns entscheiden und ihm mitteilen, ob die Kinder nun privat oder gesetzlich versichert werden und wenn wir die optimale Versorgung haben wollen, dann sollen wir sie privat versichern. Das war in der Situation absolut unangebracht. Auch in anderen Situationen hat er sich so unsensibel verhalten. Ich kann anderen betroffenen Eltern den Tipp geben, dass man auf sich Acht gibt. Man muss sich das nicht anhören. Ich weiß nicht, ob ich künftig früher sagen würde, das reicht mir jetzt. Danach haben wir unsere Fragen immer dem leitenden Oberarzt gestellt. Der war total nett.
  • Normalität aufrechterhalten, soweit es geht: Während des Klinikaufenthaltes der Kinder habe ich mir manchmal gedacht, ich könnte in die Gästewohnung der Klinik ziehen, um näher bei meinen frühgeborenen Kindern zu sein. Im Rückblick war es, glaube ich, ganz gesund, dass ich zu Hause bei meiner Familie gelebt und auch ein normales Familienleben geführt habe.
  • Druck rausnehmen: Es hat mir gut getan, dass niemand den Druck gemacht hat, „Sie sollten schon versuchen vollzustillen!“, sondern dass die Stillberaterin gesagt hat „Machen Sie es so gut wie es geht, wie Sie es schaffen! Jede Muttermilch, die sie bekommen, ist gut. Sie haben genug Stress zu Hause, was Sie nicht schaffen, schaffen Sie halt nicht“. Mich hat die Aussage der Stillberaterin, dass die Kinder mit dem Dreck zu Hause gut zurechtkommen, auch sehr entlastet. Bei uns zu Hause ist es nie richtig sauber.
  • Gelassenheit bei den ängstlichen Großmüttern: In der Generation meiner Eltern haben die Mütter nicht gestillt. Unsere Eltern waren ganz entsetzt, dass ich nicht wusste, wie viel meine Zwillinge getrunken haben. Das weiß man natürlich nicht, wenn man stillt. Ich wusste aber, dass es ihnen gut geht. Man darf sich nicht kirre machen lassen. Man muss Vertrauen haben.

Liebe Bianca, vielen Dank für die tollen Tipps und dass Sie Ihre persönliche Geschichte mit anderen Müttern teilen. Wir wünschen Ihnen und Ihrer kleinen Familie alles Gute für die Zukunft.

Auch vielen Dank an Katja Biernath-Kruse für die Vermittlung von Bianca als Interviewpartnerin.

Kristin, Mutter einer frühgeborenen Tochter (26. SSW.)

Kristin bekam ihr Töchterchen in der 26. Schwangerschaftswoche aufgrund eines vorzeitigen Blasensprungs, der völlig unerwartet kam. Beide blieben fast drei Monate im Krankenhaus: das Baby auf der Neonatologie, die Mutter als Begleitperson. Das Baby überstand die Zeit des Krankenhausaufenthaltes gesund, ohne Komplikationen. Der Aufbau der Milchbildung verlief bei Kristin langwierig und mühsam, obwohl sie konsequent 8- bis 10-mal täglich pumpte, aber schließlich erfolgreich. Ihr Baby konnte durchgehend mit ihrer Muttermilch ernährt werden. Die Umgewöhnung auf das Stillen hat leider nicht geklappt, das Baby hat eine bleibende Saugschwäche. Kristin setzte das Abpumpen zu Hause fort und konnte ihr Baby noch lange mit Muttermilch ernähren.

Liebe Kristin, wie ist es zur Frühgeburt gekommen?

Ich hatte einen vorzeitigen Blasensprung. Woran es gelegen hat, ist nach wie vor unklar. Im Krankenhaus sagten sie: „Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie hier sehr lange bleiben werden.“ Ich bin damals davon ausgegangen, dass ich ganz lange im Krankenhaus bleiben müsste, um die Schwangerschaft unter Beobachtung weiterzuführen. Als es nach viereinhalb Tagen plötzlich hieß: „Wir holen jetzt Ihr Kind“, wollte ich das zunächst nicht wahr haben, obwohl ich an den Tagen zuvor immer wieder Blut oder Fruchtwasser verloren hatte. Da sich die Entzündungswerte in meinem Blut verschlechtert hatten, hatten die Ärzte entschieden, das Kind lieber zu holen und im Brutkasten zu beobachten als in meinem Bauch zu belassen, weil die Gefahr bestand, dass es eine Infektion bekommen könnte. Der Kaiserschnitt fand in der 26. Schwangerschaftswoche statt.

Wie war die erste Zeit nach der Geburt?

Ich blieb vier Tage auf der normalen Wöchnerinnenstation, meine Tochter wurde im selben Gebäude auf die Intensivstation gebracht. Es war schrecklich, überall um mich herum glückliche Hochschwangere und Mütter mit ihren Neugeborenen zu sehen, aber ich hatte ja keine Wahl. Nach den vier Tagen durfte ich mit viel Glück in eine Art „Elternhotel“ auf dem Krankenhausgelände ziehen. Da ich vom Krankenhaus weit entfernt lebe, nahm ich das Angebot dankbar an. Es war zwar sehr bescheiden, aber ich hatte für die drei Monate des Krankenhausaufenthaltes ein eigenes Zimmer und war immer in der Nähe meiner Tochter. Eigentlich habe ich dort nur geschlafen. Jeden Morgen lief ich zum Gebäude, wo meine Tochter lag, und blieb dort bis spät abends.

Wie ging es Ihrer Tochter?

Meine Tochter hat sich unfassbar tapfer ins Leben gekämpft und die Zeit im Krankenhaus zum Glück sehr gut verkraftet. Sie hat keinerlei Infektionen, Magenprobleme oder irgendetwas Anderes bekommen. Sie hatte lediglich die Schwierigkeiten, die mit ihrer Frühgeburt verbunden waren. So brauchte sie zweimal eine Bluttransfusion und hatte ständig Verstopfungen. Dank der zwei Lungenbläschen bildenden Spritzen, die ich noch vor ihrer Geburt bekommen habe, konnte meine Tochter von Anfang an selbstständig atmen und musste nicht beatmet werden. Aber sie war so klein und schwach – sie hat bei ihrer Geburt keine 900 g gewogen -, dass ihre Kraft nicht gereicht hat, tief genug zu atmen, um genügend Sauerstoff aufzunehmen. Am Anfang oft, später immer seltener hat sie außerdem immer mal wieder vergessen zu atmen. Daher hat sie eine Atemunterstützung, erst durch CPAP, später durch Highflow, bekommen. In den drei Monaten Krankenhausaufenthalt wurden Stück für Stück Luftdruck und Sauerstoffgehalt reduziert, sodass sie gelernt hat, selbständig immer tiefer und konstanter zu atmen.

Ihre Entlassung war an mehrere Faktoren gebunden: zum einen an das selbständige Atmen (Es durfte 5 Tage hintereinander zu keiner Bradykardie aufgrund ihrer Atmung kommen.), zum anderen an das Trinken und die damit verbundenen Gewichtszunahme. Da meine Tochter anfangs auch viel zu schwach zum eigenständigen Trinken war, wurde ihr die von mir abgepumpte Muttermilch über eine Magensonde mit einer Spritze direkt in den Magen gespritzt. Erst später hat sie gelernt aus der Flasche zu trinken.

Wie fand die Entwöhnung Ihrer Tochter von der Magensonde statt?

Als meine Tochter ein paar Wochen alt war, kam auf der Intensivstation einmal pro Woche ein Physiotherapeut vorbei, um ihr das Trinken aus der Flasche beizubringen. Dies fiel meiner Tochter bis zur Entlassung und darüber hinaus äußerst schwer. Sie brauchte anfangs für einen Schluck aus der Flasche viele Atemzüge, hat viel Luft geschluckt und sich oft verschluckt. Meine Aufgabe war u.a. zu lernen, wann der Sauerstoffgehalt im Blut durch das Saugen an der Flasche bei meiner Tochter zu niedrig wurde, um ihr dann die Flasche kurzzeitig wegzunehmen. Auch ein Sauger-/Fläschchenwechsel hat nicht wirklich geholfen. Sie ist bis heute eine schlechte Trinkerin.

Nach der Intensivstation wurde meine Tochter auf eine Art Entlassungsstation umgelegt. Hier wurde das Trinken aus der Flasche intensiviert. Das heißt, meine Tochter sollte immer erst aus der Flasche trinken und nur das, was sie übrig ließ, wurde ihr anschließend per Magensonde verabreicht. Tag und Nacht (Auf dieser Station haben wir zusammen in einem Zimmer gewohnt.) habe ich zum Teil stundenlang versucht, meine Tochter vom Wiedereinschlafen abzuhalten und zum Trinken zu animieren. Wenn ich nachts anschließend durch den Gang gegangen bin, um eine Schwester zum Ansondieren der verbleibenden Muttermilch zu suchen, haben alle anderen Mütter schon längst wieder geschlafen.

Am Entlassungstag, der fast genauso plötzlich für mich kam wie die Entbindung, trank meine Tochter immer noch viel zu geringe Mengen aus der Flasche – die Magensonde war ihr trotzdem schon kurz zuvor gezogen worden. Ich sagte zu den Ärzten: „Sie können uns nicht entlassen, meine Tochter wird mir verhungern!“, aber diese erwiderten nur: „Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie erst mal zu Hause sind, wird Ihre Tochter trinken!“. Und so war es tatsächlich. Auch zu Hause verschluckte sich meine Tochter immer mal wieder oder schluckte Luft und schaffte nicht die vorgesehenen Mengen, aber sie trank deutlich mehr als im Krankenhaus.

Wie war Ihr Tag als Begleitperson?

Sofern es mir möglich war, war ich bei meiner Tochter auf der Station. Das war auch der Wunsch der Ärzte, obwohl sie dies nicht von Anfang an kommuniziert hatten und mich später einmal darauf ansprachen, dass ich mehr Zeit bei meinem Kind verbringen könnte. Danach war ich jede Minute, die ich konnte, bei ihr. Ich übernahm nach Anleitung durch die Schwestern das Wickeln, die Temperaturmessung, das Wiegen der Windeln und natürlich auch das Wiegen meiner Tochter. Bei jeder Versorgungsrunde wurde alles genauestens dokumentiert. Wenn der Physiotherapeut kam, war ich auch dabei. Zweimal am Tag praktizierten wir außerdem Bonding: Meine Tochter lag dabei nackt auf meiner nackten Brust. Durch den Hautkontakt und das Hören meines Herzschlags sollten die Schwangerschaft für sie auf eine gewisse Art und Weise verlängert und das Wohlbefinden und die Vitalwerte verbessert werden. Insgesamt verbrachten wir 3 bis 4 Stunden am Tag mit Bonding. Das hört sich nach viel an, aber wenn man bedenkt, dass noch ca. 20 Stunden am Tag blieben, in denen wir voneinander getrennt waren, war es erschreckend wenig. Die lange restliche Zeit über lag meine Tochter im Brutkasten – in einem Plastikgefäß – im Dunkeln, hinter Schläuchen versteckt, ohne Hautkontakt zu mir, hörte ständig Piepen, Hupen und Rauschen. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit bei ihr verbringen können, aber das war kaum möglich.

Ich versuchte den Tag so zu strukturieren, dass ich alles schaffen konnte, das anstand: Ich habe versucht, so viel wie möglich bei meiner Tochter zu sein, konnte meine Mahlzeiten aber nur zu festen Zeiten in der Cafeteria einnehmen, musste 8- bis 10-mal täglich Muttermilch abpumpen und brauchte nachts zumindest ein bisschen Schlaf. Leider war es nicht möglich, direkt beim Kind zu pumpen. Nachts habe ich dies in meinem Zimmer im Elternhotel getan, tagsüber in der Neonatologie. Dort gab ein separates Zimmer mit ein paar Pumpen und Sesseln und man hatte dort endlich mal die Gelegenheit, mit anderen Müttern ins Gespräch zu kommen. Das tat gut, denn sonst wäre ich völlig vereinsamt, weil in den Zimmern (soweit das mit den vielen Geräuschen der Geräte überhaupt möglich war) absolute Ruhe herrschen sollte, es im „Elternhotel“ und in der Cafeteria meist keine Gelegenheit für Gespräche gab und ich zu meinem Freundeskreis zuhause den Kontakt abgebrochen hatte, weil ich keine Kraft hatte, dort zu erzählen, was passiert war. Meine Eltern haben meine Tochter und mich zweimal besucht, haben aber auch schnell festgestellt, dass ich gar keine Zeit für sie hatte. Da man immer nur eine Begleitperson mit auf die Intensivstation nehmen durfte, musste immer eine/r im Wartebereich bleiben. Damit war klar, dass ich nicht mit meinen Eltern Zeit verbringen konnte, wenn ich bei meinem Kind war. Auch sonst kamen sie sich überflüssig vor, weil ich immer nur von A nach B gehetzt bin und gar keine Zeit für sie hatte. Später, in der Entlassungsstation, konnte ich mehr oder weniger den ganzen Tag bei meiner Tochter verbringen und auch mehr Besuch empfangen, aber dort war ich ja zum Glück nur wenige Tage.

Wie haben Sie Ihre Milchbildung aufgebaut?

Begonnen mit dem Abpumpen habe ich direkt auf der Entbindungsstation. Als ich mit dem Kaiserschnitt frisch im Bett lag, kam eine Krankenschwester rein, stellte mir eine elektrische Intervallpumpe hin und sagte: „So, dann fangen Sie mal damit an!“. Sie legte mir die Hauben an die Brust, stellte die Pumpe auf Stufe 3 und meinte: „Das machen Sie jetzt so oft Sie können“. Da ich mich zuvor nicht mit den Themen Frühgeburt und Muttermilchgewinnung beschäftigt hatte, war ich zunächst irritiert. Dann dachte ich darüber nach und mir wurde klar, dass es gar nicht anders ging. Meine Tochter war ja viel zu schwach, um aus meiner Brust trinken zu können, außerdem völlig verkabelt und die meiste Zeit gar nicht bei mir.

Auch wenn es für mich anfangs sehr befremdlich und unangenehm war, pumpte ich in der ersten Zeit 10-mal am Tag ab. Nachts stellte ich mir den Wecker und stand nach drei Stunden wieder auf, um abzupumpen. Es war eine rein mechanische Tätigkeit. Man musste es machen. Man wusste ja, wofür man es macht. Da saß ich nun so oft am Tag und in der Nacht mit dieser bescheuerten Pumpe, anstatt bei meiner Tochter zu sein: völlig übermüdet, mit Sorgen überlagert …

Die Milchmenge war daher in der ersten Zeit sehr, sehr gering, steigerte sich nur langsam und ich hatte viele Probleme mit meinen Brüsten. Zweimal hatte ich eine Brustentzündung mit 40 Grad Fieber und Schüttelfrost. Bei der kleinsten Berührung der betroffenen Brust hätte ich vor Schmerzen in die Luft gehen können. Zum Ende hin hatte ich fast jeden zweiten Tag einen schmerzhaften Milchstau. Kaum war er auf der einen Seite weg, kam er auf der anderen Seite. Ich war öfter bei der Rettungsstelle, sprach mit Hebammen sowie einer Laktationsberaterin und habe irgendwann nur noch mit auf die Brüste gelegten Wärmekompressen abgepumpt. Wirklich geholfen hat nichts.

Im Nachhinein glaube ich, lag es an meinen großen Sorgen, dass ich diese Milchmengenprobleme und den häufigen Milchstau hatte. Als wir nach drei Monaten endlich entlassen wurden und zwar weiterhin leicht besorgt, aber auch voller Zuversicht endlich nach Hause fahren durften, ist die Muttermilchmenge stetig gestiegen und ich hatte nie wieder einen Milchstau.

Auf welche Milchmengen sind Sie gekommen und wie haben Sie am Ende „abgestillt“?

Es war sehr mühsam, die Milchmenge zu steigern. Am Anfang gewann ich pro Pumpsitzung aus beiden Brüsten zusammen 3 ml, dann 10, dann 20, dann 40 ml und nach 4 Wochen hatte ich etwa 60 bis 80 ml pro Pumpsitzung aus beiden Brüsten. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich um die 100 ml insgesamt pro Pumpsitzung geschafft (bei 8 bis 10 Pumpsitzungen am Tag).

Viele Frauen auf der Station kämpften mit der Milchmenge wie ich. Bei anderen floss die Milch so richtig. Bei mir gab es nie den Moment, wo der Knoten geplatzt ist und auf einmal deutlich mehr Milch kam. Ich habe an der Pumpe nie einen Milchspendereflex verspürt. Die Milch kam immer nur tröpfchenweise. Nur dank meiner Beharrlichkeit nahm die Milchmenge dennoch von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und Monat zu Monat zu.

Man hätte aber sicherlich auch auf andere Weise nachhelfen können, die Milchmenge zu steigern: z. B. wenn man beim Abpumpen bei seinem Kind hätte sein dürfen, wenn man es auf dem Arm hätte haben oder zumindest hätte sehen dürfen. Auf der Intensivstation wurde einem auch empfohlen, direkt nach dem Bonding abzupumpen. Das hat auch ein bisschen geklappt. Eine Brustmassage wurde mir erst viel später gezeigt. Aber eine Veränderung der Milchmenge habe ich nicht gemerkt.

Während des Krankenhausaufenthalts hatte ich immer Angst, dass meine Milchmenge nicht reicht, dass meine Tochter nicht satt wird. Der Anblick auf die fast überlaufenden Muttermilchfläschchen anderer Mütter und die Darstellungen glücklicher Mütter mit ihren properen Kindern in den Medien haben mich glauben lassen, dass ich unterdurchschnittlich wenig Milch hatte.

Später habe ich dann festgestellt, dass meine Sorge absolut unbegründet war. Meine Tochter war ja so klein, dass sie auch nur winzige Mengen getrunken hat! Als ich entlassen wurde, gaben mir die Schwestern ganz viel eingefrorene Milch mit, die sie gar nicht verfüttern konnten. Diese Milch habe ich dann zuhause parallel zur frisch abgepumpten Milch verfüttert und immer wieder neue Reserven eingefroren.

Aber meine Angst, nicht genügend Milch zu haben, blieb dennoch bis zum Ende des Abpumpens, ein Jahr nach der Geburt, bestehen. Ich wusste ja, dass meine Tochter mit zunehmendem Gewicht größere Mengen trinken würde, und befürchtete daher, dass irgendwann der Moment kommen würde, an dem die abgepumpte Menge nicht mehr reicht. Verrückterweise kam es aber immer ziemlich genau hin, da meine Tochter ja nie die große Trinkerin war. Es schien fast so, als hätten sich meine Brüste (unwissentlich?) an die geringe Trinkmenge meiner Tochter angepasst oder umgekehrt!

Trotz einer steigenden Abneigung gegen die Pumpe, fiel es mir am Ende sehr, sehr schwer, mit dem Abpumpen aufzuhören. Mehrere Monate lang habe ich die Anzahl der Pumpsitzungen reduziert und mich fast schon an die verbleibenden Male geklammert. Nachts habe ich schon früh aufgehört abzupumpen und am Tag habe ich zuletzt zweimal abgepumpt.

Auch wenn ich weiß, dass diese Gedanken bescheuert waren, so kam ich mir egoistisch vor, dass ich mit dem Abpumpen nach einem Jahr aufhören wollte, obwohl meine Tochter ja noch Milch brauchte. Ich habe mich selbst schließlich damit überlistet, dass ich meinen Mann gebeten habe, die Pumpe zur Apotheke zurückzubringen, von der wir diese vor Monaten ausgeliehen hatten. Bei diesem Schritt hat mir auf jeden Fall die Tatsache geholfen, dass ich zu dem Zeitpunkt noch einige Reserven Muttermilch tiefgefroren hatte, die zwar nicht ewig gereicht haben, aber mit denen ich zumindest den Zeitpunkt der Premilch-Einführung noch etwas hinauszögern konnte.

Haben Sie versucht, das Stillen zu etablieren?

In der Zeit, wo meine Tochter auf der Intensivstation war, verabreichte ich ihr beim Bonding mit der Spritze über die Magensonde Muttermilch. Ein paar Mal kam es vor, dass sie Suchbewegungen mit dem Mund machte. Eine Schwester kam dann ganz aufgeregt zu mir und meinte: „Toll, sie sucht ja schon! Lassen Sie sie ein bisschen an Ihrer Brust nuckeln!“. Sie half mir, das kleine Etwas auf einem Stillkissen zu positionieren und ich ließ meine Tochter diese einzelnen Male ein bisschen an der Brust nuckeln. Es war aber immer nur ein Beruhigungsnuckeln, nie der Versuch zu trinken.

Da ich nach meinem Empfinden nicht genügend Zeit fürs Bonding mit meiner Tochter hatte, habe ich mich dazu entschieden, die gemeinsame Zeit lieber fürs Kuscheln anstatt fürs Trainieren des Trinkens aus der Brust zu nutzen. Aber es gab auch nicht wirklich eine Unterstützung, das Stillen zu etablieren. Der Physiotherapeut hat sich nur bemüht, meiner Tochter das Trinken aus der Flasche beizubringen, und die Schwestern hatten zu wenig Zeit, sich um meine Stillversuche zu kümmern.

Auf der Entlassungsstation habe ich meine Stillversuche dann versucht zu intensivieren, sie blieben aber weiterhin erfolglos. Meist versuchte ich es in Ruhe allein, aber ein paar Mal ließ ich mir meine Tochter auch von einer Schwester anlegen. Mit und ohne Hilfe, mit und ohne Brusthütchen – es hat eigentlich nie richtig geklappt. Meine Tochter hat höchstens ein paar Trinkzüge gemacht und ist dann meistens dabei eingeschlafen.

Zu Hause, nach unserer Entlassung, wurde mein Wunsch nach dem Stillen immer größer. Durch die Frühgeburt war mir ja schon ein wichtiger Teil meiner Schwangerschaft und auch das Erlebnis Wochenbett genommen worden. So wollte ich wenigstens das Glück (?) des Stillens erleben und habe mir erhofft, auf diese Weise ein bisschen Nähe zu meiner Tochter zurückzuholen, die mir durch die Frühgeburt und die drei Monate Krankenhaus entgangen waren.

Aber auch hier es hat nie geklappt!

Meine Hebamme hat irgendwann aufgegeben und mich an eine Stillberaterin (Ganz liebe Grüße an Frau Juppe-Schütz!) verwiesen. Diese gab mir Ratschläge, wie z. B. meine Tochter vorm Stillen auszuziehen, es mit verschiedenen Positionen zu versuchen und sie auch mal nach dem Baden nass auf meine Brust zu legen. Aber auch diese Tipps haben nicht gefruchtet. Meine Tochter ist jedes Mal entweder sofort an meiner Brust eingeschlafen oder hat sich in Rage geschrien, weil sie Hunger hatte, aber nicht wusste, was sie machen sollte.

Im Nachhinein wundert es mich nicht, dass es mit dem Stillen nie richtig geklappt hat. Woher soll ein Kind auch wissen, wozu die Brust da ist und wie man daraus trinkt, wenn ihm durch die Frühgeburt die Chance aufs Nutzen des Saugreflexes gleich nach der Geburt genommen wurde und es drei Monate lang durch eine Magensonde bzw. Flasche ernährt wurde! Meine Tochter hat die Brust als einen Ort der Entspannung und Erholung kennen gelernt, nicht als Sättigungsquelle – kein Wunder, dass sie stets daran eingeschlafen ist!

Vielleicht war ich aber auch zu inkonsequent, denn wir waren auch zuhause aufgrund der Frühgeburt immer eingespannt und hatten viele Arzt- und Physiotherapietermine. Da war ich manchmal einfach nur froh, meine Tochter so auf dem Arm oder auf mir liegen zu haben und habe fürs Füttern den bequemen Weg der Flasche genutzt.

Trotzdem habe ich die Hoffnung nie aufgegeben und es war wirklich ein Schock für mich, als die Stillberaterin, auf die ich meine letzte Hoffnung gesetzt hatte, nach ein paar Monaten, als meine Tochter mal wieder schreiend an meiner Brust lag und alles versuchte, um davon wegzukommen, zu mir meinte: „Sie würden doch alles für Ihre Tochter tun, oder? Sieht so ein Kind aus, das gern aus der Brust trinken möchte?!“.

Seit diesem Tag habe ich nie wieder versucht meine Tochter anzulegen.

Ich rede mir ein, was auch anderen nicht stillenden Müttern versucht wird einzureden: dass das Bild glücklich stillender Mütter in erster Linie von den Medien produziert ist, dass Stillen gar nicht so romantisch ist und dass ich die Nähe und Liebe zu meiner Tochter auch auf anderen Wegen aufbauen und pflegen kann. Dennoch gibt mir jeder Anblick einer stillenden Mami weiterhin einen kleinen Stich ins Herz.

Wie ging es zu Hause weiter?

Als meine Tochter anhand ihres errechneten Geburtstermins 6 Monate alt war, fingen wir mit der Einführung der Beikost an. So wurde die benötigte Milchmenge weniger und ich konnte ihr bis zum ersten Geburtstag Muttermilch geben und den verbleibenden Rest mit Pre-Milch noch so lange strecken, dass sie auch darüber hinaus noch etwas Muttermilch bekam. Tatsächlich befinden sich im Gefrierschrank noch immer ein paar Reserven, dies liegt aber daran, dass meine Tochter zwischenzeitlich sämtliche Milch (Muttermilch und Pre) verweigert hat und ich nun einfach froh bin, eine Pre-Milch gefunden zu haben, die sie trinkt. Daran werde ich jetzt auch nichts mehr ändern.

Was würden Sie einer anderen Mutter empfehlen, die in Ihrer Situation ist?

  • Das Wichtigste, was ich lernen musste: Man darf nicht zu streng mit sich sein. Ich habe nichts von dem, was ich wollte, komplett geschafft: pünktlich zum Essen zu kommen, so viel wie ich wollte bei meiner Tochter zu sein, ausreichend zu schlafen, so oft es geht zu pumpen usw. Ich hatte ständig ein schlechtes Gewissen und machte mir 24 Stunden am Tag Stress, weil ich etwas erreichen wollte, was ein einzelner Mensch überhaupt nicht erreichen kann. Ich musste mir bei allem immer wieder sagen, dass das, was ich gemacht habe, bereits gut war, dass ich in meiner speziellen Situation nicht mehr leisten konnte. (Ich war ja aufgrund meines weit entfernten Wohnortes 5 Tage pro Woche allein und hatte nur am Wochenende Unterstützung durch meinen Partner. )
  • Ich wünsche mir im Nachhinein, ich hätte mehr aktiv eingefordert. Ich hätte deutlich sagen müssen, dass ich stillen möchte und Hilfe dabei brauche. Natürlich sind alle am Limit mit ihrer Arbeit und keiner hat Zeit zu sagen: „So, wir setzen uns jetzt mal für eine Stunde hin und schauen mal, wie wir das Kind anlegen.“ Aber vielleicht wäre doch mehr Unterstützung möglich gewesen.
  • Hilfreich wäre auf jeden Fall auch gewesen, wenn ich bereits im Krankenhaus durch meine Hebamme Unterstützung beim Stillen gehabt hätte. Durch die räumliche Trennung war dies aber leider nicht möglich.

Wie haben Sie sich im Krankenhaus gefühlt, was hätten Sie sich anders gewünscht?

  • Im Grunde war ich zufrieden: Ich hatte das Gefühl, dass meine Tochter gut versorgt war, ich hatte dank des „Elternhotels“ eine kostenlose Unterkunft auf dem Krankenhausgelände, konnte meine Mahlzeiten in der Cafeteria einnehmen und hätte jederzeit Unterstützung durch eine Psychologin haben können.
  • Ich hätte mir aber gewünscht, dass das Stillen mehr unterstützt und der Fokus nicht auf die Flaschenfütterung gelegt wird. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand da ist, die eine Mutter wie mich an die Hand nimmt und sagt: „Möchten Sie Ihr Kind stillen? Dann gucke ich, dass ich Sie dabei unterstützen kann, dass ich für Sie einen Ansprechpartner suche oder dass wir uns verabreden…“ Da dies versäumt wurde, konnte ich meine Tochter nie stillen.
  • Auch hätte ich mir gewünscht, mehr Zeit bei meiner Tochter verbringen zu können, z. B. auch beim Abpumpen, was für die Milchbildung sicherlich förderlich gewesen wäre.
  • Im Nachhinein weiß ich nun auch, dass sich der Physiotherapeut nicht nur ums Flaschetrinken und um die Bauchmassagen bei Verdauungsproblemen hätte kümmern sollen, sondern auch um die Haltungs- und Bewegungsmuster meiner Tochter. Das hätte uns viele Stunden Physiotherapie zuhause erspart.

Trotz allem bin ich im Nachhinein unendlich froh, dass alles so gekommen ist, wie es ist – denn meine Tochter ist für mich das größte Glück der Erde und ich möchte mich daher ganz herzlich beim gesamten Team des Berlin-Neuköllner Krankenhauses bedanken, dass sie dort in der ersten schweren Zeit so gut beschützt wurde!!!

Liebe Kristin, vielen Dank für diesen interessanten Erfahrungsbericht und die guten Hinweise für andere Mütter. Wir wünschen Ihnen und Ihrer kleinen Tochter alles Gute für die Zukunft.

Vielen Dank an Thea Juppe-Schütz für die Vermittlung von Kristin als Interviewpartnerin.

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