Ärzte lassen stillende Mütter mit der Frage des Weiterstillens oft allein, wenn sie ihnen Medikamente verschreiben. Häufig empfehlen sie sogar, besser abzustillen. Dabei erfordert eine medikamentöse Therapie nur sehr selten eine Stillpause oder sogar Abstillen.
Inhaltsübersicht:
- Die allgemeinen Arzneimittelinformationen sind meist nicht hilfreich
- Nachschlagewerke und Beratungsmöglichkeiten
- Grundlegende Prinzipien der Medikamenteneinnahme in der Stillzeit
- Medikamente bei alltäglichen Erkrankungen
Die allgemeinen Arzneimittelinformationen sind in Bezug auf das Stillen meist nicht hilfreich
Informationen auf dem Beipackzettel oder in der Roten Liste, auf die sich Ärzte und Apotheker meist berufen, sind zu allgemein gehalten und bieten wenig praktische Entscheidungshilfe. Oft wird in diesen allgemeinen Arzneimittelinformationen pauschal dazu geraten, entweder abzustillen oder auf das Medikament bis zum Abstillen zu verzichten, weil schädliche Auswirkungen auf das gestillte Kind nicht auszuschließen sind. Doch sowohl ein verfrühtes Abstillen als auch ein Aufschub der benötigten Therapie haben sichere und beträchtliche negative Auswirkungen auf das Kind und die Mutter, während die möglichen schädlichen Auswirkungen auf das gestillte Kind nicht selten rein hypothetischer Natur sind, ohne dass diese je dokumentiert worden oder gar wahrscheinlich wären.
Zwar gehen bei den meisten Medikamenten Spuren in die Muttermilch über, Symptome beim gestillten Kind sind selten und kaum dramatisch. Bei Antibiotika z.B. wird bei lediglich 10 % der Säuglinge ein dünnerer Stuhlgang beobachtet, die anderen Babys zeigen keine Symptome. Es lässt sich für fast jede Behandlungsindikation eine Therapie finden, die weiterstillen erlaubt. Toxische Effekte sind grundsätzlich eher beim jungen Säugling zu bedenken. Außerdem gibt es unter den Säuglingen individuelle (genetisch festgelegte) Unterschiede, die dafür sorgen, dass manche Säuglinge Symptome zeigen und andere nicht.
Nachschlagewerke und Beratungsmöglichkeiten
Es existieren verschiedene gedruckte und Online-Nachschlagewerke, die eine Orientierung dazu bieten, welche Medikamente mit dem Stillen vereinbar sind und welche gemieden werden sollten, weil bei ihnen tatsächlich schädliche Auswirkungen zu befürchten sind. Diese Nachschlagewerke sammeln Studien und Fallberichte zur Anwendung der Substanzen in der Stillzeit, ermitteln den Anteil der Wirkstoffe in der Muttermilch sowie mögliche Auswirkungen auf die Milchbildung und auf das gestillte Kind, und zeigen alternative Medikamente auf, die in der Stillzeit ggf. besser geeignet sind.
Etablierte Online-Nachschlagewerke zum Thema Medikamente und Stillen für Fachpersonal:
- Embryotox (Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin)
- LactMed (Drugs and Lactation Database der US National Library of Medicine)
- E-Lactancia (Projekt von APILAM, eines spanischen Vereins der Stillförderung, initiiert durch Kinderärzte und Pharmakologen)
- InfantRisk Center Apps (Apps für Mütter und für Fachpersonal anhand des renommierten US-Nachschlagewerks von Dr. Thomas Hale)
- Breastfeeding and Medication (Webseite von Wendy Jones, Autorin von Standard-Nachschlagewerken zum Thema in UK)
Neben den Nachschlagewerken stehen Fachleuten (ÄrztInnen, ApothekerInnen, Hebammen, Stillberaterinnen) in Deutschland auch persönliche Fachberatungsstellen, wie die Embryonaltoxikologie in Berlin, zur Verfügung, an sie sie in komplexen Fällen wenden können. Betroffene Mütter können ihre ÄrztInnen und ApothekerInnen über die Nachschlagewerke und das Beratungsangebot der Embryonaltoxikologie informieren und darum bitten, dass die Stillverträglichkeit des vorgeschlagenen Medikaments z.B. unter www.embryotox.de und in den anderen gelisteten Nachschlagewerken nachgeschaut wird, oder, in komplexen Fällen, Embryotox direkt kontaktiert wird. Die Mutter kann ihrem Arzt oder Apotheker mitteilen, dass sie stillt und weiterhin stillen möchte und wie alt und schwer ihr Baby ist. Sie kann darum bitten, ein stillverträgliches Medikament auszusuchen. Sie kann auch ihre Hebamme oder ihre Stillberaterin bitten, mit ihrem Arzt über die Stillverträglichkeit des betreffenden Medikaments zu sprechen oder Embryotox zu kontaktieren.
Darüber hinaus haben sich die so genannten Babyfreundlichen Apotheken auf diese Fragestellungen spezialisiert. Die MitarbeiterInnen in Babyfreundlichen Apotheken sind auf Beratungen zu Arzneimitteln in Schwangerschaft, Stillzeit und Säuglingszeit speziell geschult. Entsprechende Literatur muss laut Satzung vorhanden sein. Eltern, die eine Babyfreundliche Apotheke in der Nähe haben, können sich dort persönlich oder telefonisch beraten lassen.
Grundlegende Prinzipien der Medikamenteneinnahme in der Stillzeit
- Wenn immer möglich, sollte eine nichtmedikamentöse Behandlung in Betracht gezogen werden.
- Bewährte Medikamente sind neueren vorzuziehen. Dies liegt daran, dass es über neu zugelassene Medikamente im Gegensatz zu alten wenig Erfahrung gibt. Seltene Nebenwirkungen und Gefahren für das gestillte Kind stellen sich häufig erst nach jahre- bzw. jahrzehntelanger Anwendung durch eine große Anzahl von Patienten heraus.
- Ein einziges Medikament ist günstiger als die Kombination verschiedener Präparate, da sich das Risiko für unerwünschte Wirkungen durch die Kombination mehrerer Präparate potenziert.
- Das Medikament soll möglichst nicht in Alkohol gelöst sein.
- Bei einer Langzeittherapie macht es in gewissen Fällen Sinn, die Medikamente vor einer längeren Stillpause (z.B. beim Schlafengehen oder wenn das Kind betreut wird) einzunehmen, da die Konzentration des Wirkstoffs im Blut (und somit auch in der Muttermilch) nach einer gewissen Zeit abnimmt. Dies ist jedoch nicht immer der Fall: Retardierte Präparate z.B. geben den Wirkstoff über einen längeren Zeitraum hinweg gleichmäßig ab. Sie können Ihren Arzt fragen, wann die höchste Konzentration zu erwarten ist und wie lange die Halbwertszeit dauert. Bei einer Langzeittherapie ist eine Beratung durch Embryotox und eine Still- und Laktationsberaterin besonders wichtig.
- Durch Entleeren und Wegschütten kann man die Muttermilch von den Medikamenten nicht “reinigen”. Die Konzentration des Medikaments in der Muttermilch hängt von der Konzentration im Blut der Mutter ab.
- Bei manchen Medikamenten ist vorübergehend eine Stillpause erforderlich. Die Mutter sollte in dieser Zeit ihre Milch entleeren (per Pumpe oder manuell) und die Milch wegschütten; dem Baby früher gewonnene Milch oder – falls es anders nicht geht – künstliche Säuglingsnahrung geben (idealerweise mit alternativen Fütterungsmethoden, um eine Saugverwirrung zu vermeiden). Damit bei einer Stillpause die Milchbildung aufrechterhalten wird, sollte die Milch etwa so häufig entleert werden, wie das Baby getrunken hat und zwar mit einer elektrischen Doppel-Milchpumpe: In den ersten Wochen der Stillzeit mindestens 8-mal am Tag. Wenn die Milchbildung bereits aufgebaut und gut etabliert ist (etwa nach der 6. Woche nach der Geburt) reicht bei vielen Frauen aus, wenn sie nur etwa 6-mal täglich ihre Brüste gründlich entleeren. Wenn das Baby nur noch teilgestillt wird, dann entsprechend seltener.
Medikamente bei alltäglichen Erkrankungen
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In der Regel sind homöopathische Mittel in hohen Verdünnungen unbedenklich, da die Konzentration der Wirkstoffe äußerst gering ist. Pflanzliche Arzneimittel (Phytopharmaka) sind nicht automatisch harmloser als chemisch-synthetisch hergestellte Medikamente und es liegen kaum systematische Untersuchungen zu deren Verträglichkeit in der Stillzeit vor. Manche Phytopharmaka verändern den Geschmack der Muttermilch, was zur Ablehnung der Brust führen kann. Bei unklarer Herkunft des Präparats kann eine Kontamination mit Schwermetallen, Pestiziden und unerwünschten pflanzlichen Bestandteilen vorkommen. Präparate aus der Apotheke von renommierten Herstellern sind daher “No-Name”-Präparaten aus dem Internet vorzuziehen.
- Bei schmerzhaften Milchstaus und Brustentzündungen, wunden oder entzündeten Brustwarzen, gelegentlichen Kopfschmerzen oder Zahnschmerzen eignen sich für stillende Mütter Paracetamol oder Ibuprofen am besten. Azetylsalizylsäure (z.B. in Aspirin) sollte allenfalls in Einzeldosen genommen werden. Bei Paracetamol sollte man noch beachten, dass die in der Packungsbeilage vorgeschriebene Dosierung auf keinen Fall überschritten werden darf. Bei Schmerzen, die durch eine Entzündung verursacht/begleitet werden, ist Ibuprofen als Entzündungshemmer besser geeignet. Leider weigern sich immer noch viele Ärzte und Apotheker, stillenden Müttern Ibuprofen oder Paracetamol herauszugeben. In einem solchen Fall können die Eltern darauf hinweisen, dass diese beiden Wirkstoffe auch bei den Säuglingen erste Wahl sind, falls sie Schmerzen oder Fieber haben. Eltern können auch auf die Seite von Emryotox hinweisen: http://www.embryotox.de/ibuprofen.html (siehe unter Stillzeit/Empfehlung), in der bestätigt wird, dass diese beiden Wirkstoffe in der Stillzeit die Schmerzmittel der Wahl sind. Nebenwirkungen bei gestillten Babys sind bei Paracetamol und Ibuprofen nicht beobachtet worden. Bei Ibuprofen lässt sich der Wirkstoff in der Muttermilch nicht einmal nachweisen, wenn die Mutter die übliche therapeutische Dosierung einnimmt. In vielen Fällen ermöglicht die Einnahme dieser Schmerzmittel erst das Weiterstillen.
- Erkältungsmittel sollten gemieden werden. Diese sind häufig Kombinationspräparate, deren Wirksamkeit nicht belegt ist. Hausmittel (viel Trinken, Inhalationen, Spülungen mit Salzlösung, Umschläge usw.) sind bei Erkältungskrankheiten genauso hilfreich. Erkältunspräparate mit Pseudoephedrin können die Milchbildung hemmen. Falls notwendig, können abschwellende Nasentropfen verwendet werden.
- Gängige Augentropfen und Nasentropfen sind auch in der Stillzeit akzeptabel, insbesondere bei vorübergehender Anwendung. Mittel mit Chloramphenicol und Streptomycin (bestimmte, in der Stillzeit nicht empfohlene Antibiotika) sollten beim Stillen von Früh- und Neugeborenen gemieden werden.
- Betäubungsmittel (sowohl bei lokaler Betäubung als auch bei Vollnarkose) erlauben das Stillen, sobald die Mutter das Baby selbst anlegen kann. Der Säugling darf z.B. durch Angehörige nicht angelegt werden, solange die Mutter noch nicht bei klarem Bewusstsein ist.
- Wenn bei einer ärztlichen Untersuchung die Mutter geröntgt wird, kann sie bedenkenlos weiterstillen. Wenn ein Kontrastmittel verwendet wird (z.B. bei einer Schilddrüsenuntersuchung), muss eine Stillpause eingelegt werden.
- Wenn Verstopfung durch ballaststoffreiche Kost alleine nicht ausreichend therapiert werden kann, eignen sich Füll- und Quellstoffe mit viel Flüssigkeit (Leinsamen, Weizenkleie, Flohsamen ohne Sennesfruchtextrakte) oder z.B. Laktulose.
- Impfungen sind in der Stillzeit grundsätzlich erlaubt. Dies betrifft Tot- und Lebendimpfungen mit Ausnahme der heute nicht mehr routinemäßig verwendeten Polio-Lebendimpfung.
- Kleinflächige und vorübergehende äußere Behandlungen von Hauterkrankungen dürfen in der Regel durchgeführt werden. Bei großflächiger und anhaltender Anwendung ist eine fachliche Beratung notwendig.
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Bei Kopflausbefall sind chemische Lausshampoos (Insektizide) das Standardmittel. Leider werden diese Schwangeren und stillenden Müttern, Babys und Kleinkindern wegen potenzieller gesundheitlicher Gefährdung nicht empfohlen. Die Wirksamkeit alternativer Mittel, wie z.B. Essigwasser, Kokosöl, ätherische Öle, ist allerdings nicht belegt. In dieser Situation bewährt sich die manuelle Entfernung der Läuse mittels spezieller Lauskämme, die bei richtiger Durchführung ausgesprochen wirksam ist. (siehe auch: http://www.pediculosis-gesellschaft.de). Unter den chemischen Mitteln ist Pyrethrumextrakt am verträglichsten (günstiger als synthetische Pyrethroide). Lindan sollte wegen des nerventoxischen Potenzials gemieden werden.
Quellen:
- Expertenforum Medikamente in der Stillzeit. 10. Still- und Laktationskongress, Berlin, 2015.
- Schaefer C: Arzneimittel und Stillen – verträgt sich das? Stillen und Muttermilchernährung. Grundlagen, Erfahrungen und Empfehlungen; Gesundheitsförderung konkret Band 3, von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.), Köln 2001.
- Schaefer C, Spielmann H, Vetter K: Arzneiverordnung in Schwangerschaft und Stillzeit. Urban und Fischer. 7. Aufl.(2006)
- Stiftung Warentest: Handbuch Medikamente, 2000
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