Hintergrundwissen zum Milchspendereflex und Fettgehalt der Muttermilch

Wie wird Muttermilch während einer Stillmahlzeit aus der Brust entleert? Und wie verändert sich der Fettgehalt im Laufe der Stillmahlzeit? Durch das Verständnis dieser Zusammenhänge lassen sich manche Phänomene der Laktation gut erklären.

Der Milchspendereflex

Muttermilch wird in den traubenartig angelegten Milchbläschen (Alveolen) durch die milchbildenden Zellen (Lactozyten) produziert und im Lumen der Alveolen gespeichert. Die Milchgänge leiten die Milch von den Alveolen zur Brustwarze. [modifiziert nach Tigatelu, Fotolia]
Muttermilch wird in den so genannten Milchbläschen (Alveolen) des Brustdrüsengewebes gebildet und gespeichert. Saugt das Baby an der Brust, werden die Milchbläschen − vermittelt durch das Stillhormon Oxytozin – durch winzige Muskeln zusammengedrückt. Die Milchgänge weiten sich. Der Inhalt der Alveolen, die Muttermilch, schießt über die Milchgänge Richtung Brustwarze. Das ist der so genannte Milchspendereflex. Die Mutter verspürt in ihrer Brust ein leichtes Kribbeln, Ziehen oder Wärme, auch in der gegenüberliegenden Brust.

Alveolus mit glatten Muskelzellen an der Oberfläche
Die Milchbläschen werden während des Milchspendereflexes durch glatte Muskelzellen zusammengedrückt, die Milch schießt in die Milchgänge. [modifiziert nach Vorherr, 1974; © still-lexikon.de]
Ohne Milch­spen­de­ref­lex, allein durch Saugen oder Ausdrücken, können nur wenig, 1 bis maximal 10 ml Milch entleert werden; die restliche Milch verbleibt in der Brust.
Der Milchspendereflex wird u.a. durch Saugen des Babys an der Brust, auch durch Pumpen, Handentleeren oder Gedanken ans Baby ausgelöst. Pro Stillmahlzeit und Brust gibt es 2 bis 3, max. 9, während einer 15-Minuten-Pumpsitzung 3 bis 6 Milchspendereflexe. Ein besonders langer Milchspendereflex dauert bis zu 3,5 Minuten, ein kurzer z.B. 45 Sekunden.

Milchpendereflex Grafik
Der erste Milchspendereflex (MSR) ist am stärksten. Anschließende Milchspendereflexe sind zunehmend schwächer. [modifiziert nach Gardner et al. 2017; © still-lexikon.de]
Der erste Milchspendereflex während einer Stillmahlzeit ist am stärksten: Da fließt am meisten Milch (durchschnittlich 45% der pro Mahlzeit transferierten Gesamtmilchmenge) und am schnellsten. Bei den nachfolgenden Milchspendereflexen fließt weniger Milch und langsamer. Viele Frauen können den ersten Milchpendereflex spüren, die nachfolgenden Milchspendereflexe nehmen aber die wenigsten Frauen wahr. Vor allem die ersten beiden Milchspendereflexe können auch ineinander fließen, sodass das Baby kontinuierlich Milch bekommt. Das Muster der Milchspendereflexe ist für jede Frau charakteristisch und bleibt über mehrere Geburten erhalten.

Grafik Milchspendereflex
Milchspendereflexe fließen häufig ineinander über. [modifiziert nach Ramsai et al. 2006; © still-lexikon.de]
Babys docken sich manchmal von der Brust ab, wenn zum Ende einer Stillmahlzeit ein neuer Milchspendereflex kommt: Sie sind bereits satt.

Durch Wechselstillen und häufiges Anlegen lassen sich immer neue Milchspendereflexe auslösen. Auch bei einer Brustkompression, also einem Zusammendrücken der Brust während einer Stillmahlzeit, z.B. wenn das Baby aufgrund des nachgelassenen Milchflusses eindöst, wird ein neuer Milchspendereflex imitiert: Durch das Zusammendrücken des Drüsengewebes fließt Milch aus den Alveolen Richtung Brustwarze, das Baby erhält wieder Milch. Durch das wiederholte Auslösen des Milchspendereflexes lässt sich die Brust zu einem hohen Grad entleeren.

Die Milch, die bei einem Milchspendereflex Richtung Brustwarze transportiert, aber nicht entleert wird, fließt anschließend in die Alveolen zurück (retrograder Milchfluss). Das ist z.B. der Fall an der zweiten, inaktiven Brust während einer Stillmahlzeit, an der das Kind gerade nicht trinkt: Der Milchspendereflex wird immer an beiden Brüsten ausgelöst. Aber auch die aktive Brust wird während einer Stillmahlzeit oder Entleerung durch die Mutter nie vollständig entleert – die übrig gebliebene Milch fließt in die Alveolen zurück.

Fettgehalt der Muttermilch während einer Stillmahlzeit

Muttermilch als Emulsion und in 2 Phasen
Direkt aus der Brust gewonnen sind die Fettkügelchen der Muttermilch mit dem wässrigen Milchplasma vermischt. Lässt man die Milch längere Zeit stehen, setzt sich das Milchfett oben, an der Oberfläche ab. Schüttelt man das Gefäß, vermischt sich das Milchfett wieder mit dem Milchplasma. (© still-lexikon.de)

Das Milchfett besteht aus vielen kleinen Lipid-Kügelchen, auch Globuli genannt, welche von einer Membran umgeben sind. Das Milchfett separiert sich in der Brust genauso von der wässrigen Phase der Milch (Milchplasma) wie in einem Sammelgefäß nach dem Abpumpen: Viele Frauen haben beobachtet, dass sich in ihrer abgepumpten Milch eine obere Lipidphase und eine untere wässrige Phase bildet, wenn man die Milch eine Weile stehen lässt. Schüttelt man die Milch, entsteht eine Emulsion, die Fettkügelchen verteilen sich wieder in der wässrigen Phase.

Milchdrüsenzellen produzieren die Muttermilch
Synthese der Muttermilch in den Laktozyten: Wasserlösliche Milchbestandteile werden direkt in das Milchplasma abgegeben. Das Milchfett wird in Form von Lipidglobuli von der Zellmembran abgeschnürt und bleibt von einer Membran umgeben. Die Lipidglobuli bleiben an den Laktozyten haften, bis sie durch die Milchspendereflexe mit dem Milchplasma vermischt werden. [modifiziert nach Mead Johnson Nutrition, Wikimedia; © still-lexikon.de]
In den Alveolen findet eine Trennung der beiden Phasen ebenfalls statt. Zwischen zwei Stillmahlzeiten setzen sich die Fettkügelchen im Lumen der Alveolen an der Oberfläche der Laktozyten ab. Fängt das Baby an zu trinken, dann schießt beim Milchspendereflex zuerst die wässrige Phase der Milch Richtung Brustwarze. Somit ist die erste Milch (auch Vordermilch genannt) relativ fettarm. Die Fettkügelchen brauchen eine Weile, bis sie sich – ausgelöst durch die Milchspendereflexe – von den Alveolen ablösen.

In der Brust setzen sich die Fettkügelchen zwischen zwei Stillmahlzeiten an der Oberfläche der Laktozyten im Lumen der Alveolen ab (links). Der Milchspendereflex wirkt wie ein Durchschütteln: Die Fettkügelchen lösen sich von der Oberfläche und vermischen sich mit dem Milchplasma (rechts).[Bild modifiziert nach Mead Johnson Nutrition, Wikimedia; Quellen: Kent 2015, Mizuno et al. 2009; © still-lexikon.de]
Der Milchspendereflex ist vergleichbar mit einem Schüttelvorgang: Er bringt die Fettkügelchen in Emulsion. Während die Milch aus den Alveolen im Laufe einer Stillmahlzeit entleert wird, steigt der Fettgehalt der Milch an. Die später getrunkene Milch (auch Hintermilch genannt) ist somit fettreicher. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Alveolen mit der Entleerung der Brust immer kleiner werden. Dadurch wird die Oberfläche, an der die Fettkügelchen haften könnten, immer kleiner und die Kügelchen werden in die Emulsion „gezwungen“. Das ist auch der Grund, warum die Milch in gut entleerten Brüsten fettreicher ist als in vollen Brüsten.

Der Fettgehalt der Muttermilch ist somit höher:

  • wenn die Brust stärker entleert ist
  • am Ende einer Stillmahlzeit
Zwei Reagenzgläser mit Muttermilch - links dicke Fettschicht, rechts dünne Fettschicht
Lässt man Muttermilch stehen, setzt sich die Fettschicht an der Oberfläche ab. Eine dicke Fettschicht in der letzten Fraktion weist auf eine gründliche Entleerung der Brust hin. (© still-lexikon.de)

Wird ein Kind an beiden Brüsten nacheinander gestillt, ist der Fettgehalt an der zweiten Brust bereits zu Beginn höher als an der ersten Brust, da der Milchspendereflex immer an beiden Brüsten einsetzt und die Fettkügelchen auch an der zweiten Brust in Emulsion gebracht werden, an der das Baby gerade nicht trinkt.

Die Vordermilch (also die Milch, die in den ersten 2–3 Minuten einer Stillmahlzeit oder einer Pumpsitzung entleert wird) wird auch fettreicher, wenn häufig gestillt oder gepumpt wird (die Fettkügelchen brauchen Zeit, um sich nach dem Stillen wieder an der Wand der Alveolen abzusetzen), wenn die Brust vor dem Stillen und zwischendurch durchmassiert wird (die Massage löst die Fettkügelchen von den Alveolenwänden und bringt sie in Emulsion) oder wenn die Brust anstelle einer Milchpumpe per Hand entleert wird (Handentleerung wirkt wie eine Massage und bringt das Fett in Emulsion).

Grafik Milchspendereflex und Fettgehalt
Mit zunehmender Entleerung der Brust steigt der Fettgehalt der Muttermilch an. Fließt beim Stillen oder Abpumpen keine Milch mehr, lassen sich durch Wechselstillen, Brustkompression, Clusterstillen oder PowerPumping weitere Milchspendereflexe (MSR) auslösen. Die dabei gewonnene Milch ist besonders fettreich und wertvoll. (© still-lexikon.de)

Das heißt, zwischen Vordermilch (die ersten Minuten einer Stillmahlzeit oder Pumpsitzung) und Hintermilch (Ende einer Stillmahlzeit oder Pumpsitzung) steigt der Fettgehalt zwar immer an, aber das Gefälle kann sehr unterschiedlich sein. In einem Fallbeispiel, in dem die Mutter ihr Kind insgesamt 7-mal in 24 Stunden (also sehr selten) gestillt hat, betrug der Fettgehalt der Vordermilch 2,5% und der der Hintermilch 15,6%, das Gefälle war also sehr groß. Dies lag einerseits daran, dass während der langen Pausen zwischen zwei Stillmahlzeiten die Fettkügelchen genug Zeit hatten sich an der Oberfläche der Alveolen abzusetzen. Außerdem sammelt sich in der langen Pause zwischen den Mahlzeiten viel Milch in der Brust an, die Oberfläche der Alveolen – wo das Fett haften bleiben kann – ist dadurch sehr groß.

Diagramm Verteilung des Milchfetts zwischen Vorder- und Hintermilch
Hintermilch ist fettreicher als Vordermilch. Das Gefälle ist aber variabel: bei seltenen Stillmahlzeiten ist der Unterschied größer, bei häufigen geringer. Das Baby erhält am Ende des Tages jedoch die gleiche Fettmenge [nach Kent, 2015; © still-lexikon.de].
Bei einer anderen Frau, die sehr häufig gestillt hat (21-mal in 24 Stunden) war der Fettgehalt der Vordermilch 4,7%, und der der Hintermilch 7,8%, d.h. das Gefälle war sehr niedrig: Die Fettkügelchen hatten wenig Zeit, an die Oberfläche zu diffundieren, die Brüste wurden nie so voll wie bei der anderen Frau, außerdem stillte sie oft mit beiden Brüsten hintereinander: Bei der zweiten Brust war der Fettgehalt der Milch von Anfang an höher. Trotz dieser Unterschiede erhielten im Laufe von 24 Stunden beide Babys etwa gleich viel Milchfett, und zwar ca. 30 g.

Praktische Bedeutung dieser Zusammenhänge

Die meisten Mütter brauchen sich um die Theorie der Milchspendereflexe und der Milchfettverteilung nicht zu kümmen. Stillen sie anhand der Signale ihres Babys (nach Bedarf), können sie darauf vertrauen, dass die Nachfrage das Angebot regelt und ihr Kind an der Brust bestens versorgt ist. Bei bestimmten Stillproblemen ist es allerdings hilfreich, diese Zusammenhänge zu verstehen.

Baby überwältigt an der Brust

Wie die Grafiken über die Milchspendereflexe zeigen, läuft am Anfang der Stillmahlzeit viel Milch mit hohem Tempo – so schnell, dass manches Baby gar nicht in der Lage ist, mit dem Schlucken und dem Atmen nachzukommen. Im Laufe der Stillmahlzeit, während die Brust geleert wird, fließt die Milch langsamer, es wird einfacher für das Baby an der Brust zu trinken. Durch zurückgelehntes Stillen kann die Mutter den Milchfluss verlangsamen: gegen die Gravitation fließt die Milch langsamer. Mehr zu diesem Thema im Artikel Zu viel Milch.

Baby ungesättigt beim Stillen, zu wenig Milch, zu langsame Gewichtszunahme

Ist das Baby am Ende der Stillmahlzeit unruhig, ist dies manchmal ein Hinweis darauf, dass es noch mehr Milch haben will. Manchmal nehmen Babys zu langsam (nicht perzentilenparallel) zu, obwohl sie das mit ihrem Verhalten nicht zeigen. Manche Frauen bilden aufgrund von ungünstigen Startbedingungen noch nicht ausreichend Milch für ihre Säuglinge und möchten die Milchbildung steigern (s. Verspäteter Milcheinschuss). Bei diesem Problemfeld sind die Kenntnisse um Milchspendereflexe und Milchfett sehr hilfreich. Denn durch Wechselstillen, Cluster-Stillen und Brustkompression lassen sich immer wieder Milchspendereflexe auslösen. Auch wenn dabei nicht so viel Milch läuft wie nach einer größeren Pause zwischen zwei Stillmahlzeiten, ist diese Milch besonders reichhaltig an Fetten und sättigt gut. Durch die zusätzlichen Milchspendereflexe wird die Brust zu einem hohen Maße entleert und die Milchbildungsrate wird gesteigert (Mehr zum Thema im Artikel Die Milchmenge steigern: Wie man mehr Milch bilden kann).

Milchgewinnung fürs Baby

Kann ein Baby aufgrund einer Frühgeburt, Erkrankung oder Saugschwäche nicht direkt oder nicht effektiv genug an der Brust trinken, dann muss die Milch per Pumpen und Handgewinnung für das Baby gewonnen werden. Betroffene Mütter sind von der gewonnenen Milchmenge manchmal enttäuscht. Es kommt bei lange ausschließlich pumpenden Müttern außerdem häufig vor, dass die Milchmenge mit der Zeit zurückgeht. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich zu wissen, dass Milchspendereflexe erneut ausgelöst werden können, auch nachdem bei einer Pumpsitzung keine Milch mehr zu kommen scheint. Durch eine Brustmassage vor und während des Abpumpens und manuelles Milchgewinnen lässt sich der Fettgehalt der Milch steigern. Durch wiederholtes Abpumpen in kurzer Sequenz und Brustmassagen zwischendurch lässt sich die Brust gut entleeren und die Milchbildung ankurbeln. Die gewonnene Milch ist besonders fettreich und nahrhaft. Auf diesem Prinzip beruht das so genannte Powerpumping, das zur Milchbildungssteigerung und -erhaltung bei ausschließlich pumpenden Müttern eingesetzt wird.

Laktoseüberladung

Es kommt manchmal vor, dass ein Baby zu viel Vorder- und zu wenig fettreiche Hintermilch erhält und dass es dadurch zu einer Laktoseüberladung im Darm des Babys kommt. Dies zeigt sich an vielfältigen Symptomen, wie am exzessiven Schreien, Blähungen und schaumigen, explosiven, zum Teil grünlichen Stühlen (mehr dazu im Artikel Zu viel Milch und Laktoseintoleranz? Stillen bleibt die beste Option). Die fettreiche Hintermilch sorgt für Sättigunsgefühl und verlangsamt die Darmpassage. Rauscht eine große Menge Vordermilch durch den Darm des Babys, kann die darin enthaltene Laktose im Dünndarm nicht ausreichend verstoffwechselt werden. Im Dickdarm angekommen verursacht die Laktose die Symptome. Zu einem solchen Vordermilch-/Hintermilch-Ungleichgewicht kann es kommen, wenn die Mutter zu viel Milch hat, die Häufigkeit und Dauer der Stillmahlzeiten begrenzt, zur anderen Brust wechselt, bevor das Baby die erste Brust von sich aus loslässt, immer die vollere Brust anbietet und das Stillen zum Einschlafen und zum Trösten nicht zulässt. Durch Stillen nach Bedarf löst sich das Problem oft schon allein: Babys erhalten viel fettreiche Milch, wenn sie an der Brust zu Ende trinken dürfen, zum Einschlafen gestillt werden und Cluster-Stillen praktizieren dürfen. Kehrt das Baby nach einer Stillmahlzeit wieder an die Brust zurück, kann ihm wieder dieselbe Brust angeboten werden. Diese hat nicht mehr so viel Milch, aber die fettreiche Hintermilch, die gut sättigt.

Auch bei Babys, die nur mit abgepumpter Milch ernährt werden, kann eine Laktoseüberladung manchmal vorkommen, weil die Pumpe allein das Milchfett nicht so gründlich entfernt wie das direkte Stillen. Durch Handentleeren oder Hands-on-Pumping lässt sich der Fettgehalt der gewonnenen Milch steigern.

Quellen:

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  • Vorherr H: The breast: morphology, physiology and lactation. New York, 1974, Academic Press. Zitiert in Lawrence RH, Lawrence RM: Breastfeeding. A guide for the medical profession. Elsevier, 8. Aufl. 2016 S. 72.

© Dr. Bauer – Publikationen in der Stillförderung. Text, Bilder und Videos sind urheberrechtlich geschützt. Letzte Änderung: September 2022.

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