Wer (nicht) stillen kann

Mutter füttert ihr Baby in Körper- und Augenkontakt
Manchmal ist Stillen nicht möglich. Durch viel Körper- und Augenkontakt beim Füttern wird die innige Beziehung zwischen Mutter und Kind gefördert.

Die Tatsache, dass viele Frauen ihre Babys nur kurz oder gar nicht stillen, ist in erster Linie kulturell bedingt: Die Routinen in der westlichen Geburtshilfe greifen in den natürlichen Ablauf der Geburt und der Neugeborenenzeit ein; den Müttern fehlt es außerdem oft an positiven Vorbildern und kompetenter Unterstützung (Warum das Stillen häufig nicht klappt ). Die Mechanismen der Marktwirtschaft, die den Verkauf von Säuglingsnahrung finanziell direkt belohnen, verstärken zusätzlich die Problematik. Doch es gibt auch Fälle, wo Stillen oder ausschließliches Stillen aufgrund von Erkankungen oder Verletzungen nicht möglich ist.

In den meisten Fällen, wo Frauen den Eindruck haben, nicht genug Milch bilden können, liegt das Problem am suboptimalen Stillmanagement im Krankenhaus oder zu Hause. Unter professioneller Anleitung kann die Milchbildung in aller Regel wieder in Gang gebracht und gesteigert werden (siehe das Verzeichnis des Still-Lexikons für Stillberaterinnen und den Artikel Die Milchmenge steigern: Wie man mehr Milch bilden kann). Wenn das Neugeborene (vorübergehend) nicht in der Lage ist, an der Brust zu saugen, dann ist eine Ernährung mit abgepumpter Muttermich möglich und das Beste für den Säugling.

Es gibt auch Situationen, in denen Muttermilch für den Säugling aufgrund von bestimmten Erkrankungen der Mutter giftige Substanzen enthält und daher gesundheitsschädigend ist. Schließlich gibt es schwere angeborene Stoffwechselstörungen seitens der Kinder, die mit (ausschließlichem) Stillen nicht vereinbar sind.

Im Folgenden werden konkrete Situationen aufgelistet, in denen (ausschließliches) Stillen nicht möglich ist.

Erkrankungen/Verletzungen seitens der Mutter, die (ausschließliches) Stillen verhindern können

  • Verbleiben von Plazenta-Resten nach der Geburt in der Gebärmutter
  • Ausgeprägte Blutarmut (Anämie) inklusive Eisenmangelanämie; Allerdings tritt diese Situation in Ländern mit guter medizinischen Versorgung und Schwangerenbetreuung so gut wie nie auf.
  • Starker Blutverlust in Verbindung mit der Geburt kann die Milchbildung vorübergehend beeinträchtigen.
  • Bedrohliche Unterernährung der Mutter kann die Milchbildung beeinträchtigen.
  • Schilddrüsen-Über- oder Unterfunktion (ein vergleichsweise häufiger Grund für unzureichende Milchbildung; manchmal tauchen Schilddrüsenerkrankungen erst nach der Geburt zum ersten Mal auf; sie sollten im Krankenhaus oder bei den gynäkologischen Untersuchungen entdeckt werden; durch die Behandlung der Schilddrüsenfehlfunktion kann die Milchbildung in Gang kommen)
  • Schwere Verletzungen der Brust (Stillen an der gesunden Brust ist möglich, an der verletzten je nach Ausprägung der Verletzung)
  • Brustkrebs
  • Chirurgische Eingriffe an der Brust (nach Entfernung einzelner Knoten ist Stillen meist möglich; manchmal sind die Milchbildung und/oder der Milchspendereflex an der betroffenen Brust beeinträchtigt, sodass diese weniger Milch bildet und vom Baby weniger bevorzugt wird als die andere Brust. Auch nach einer Brustvergrößerung oder Brustverkleinerung kann das Stillen beeinträchtigt sein.
  • Fehlbildungen der Brust (hypoplastische Brüste: sehr selten, gehen oft mit Fehlbildungen anderer Organe einher, z.B. mit Handanomalien)
  • Polyzystisches Ovarsyndrom (Viele Frauen mit PCO können ohne Probleme stillen. Manchmal muss jedoch zugefüttert werden. Dies scheint eher der Fall zu sein, wenn gleichzeitig Übergewicht vorhanden ist und kein/kaum Brustwachstum in der Schwangerschaft stattfindet.)
  • Hyperandrogenämie
  • Sheehan-Syndrom (Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz)
  • Diabetes-Erkrankung bei schlechter Einstellung (bei guter Einstellung ist Stillen möglich, allerdings kann sich der Milcheinschuss verspäten, sodass eine Zufütterung vorübergehend erforderlich sein kann.)
  • Einnahme bestimmter Arzneimittel (in den meisten Fällen sind Stillen und Arzneitherapie jedoch vereinbar; siehe auch Arzneimittel und Stillen − auch bei der Verhütung muss auf eine stillverträgliche Alternative gedacht werden, siehe Sexualität, Verhütung und Kinderwunsch in der Stillzeit)
Mutter füttert ihr Baby mithilfe eines dünnen Schlauchs an der Brust zu.
Zufütterung an der Brust mithilfe eines Brusternährungssets

Frauen, bei denen die Milchbildung aus medizinischen Gründen nicht ausreicht, können mithilfe eines Brusternährungssets oder mithilfe einer Ernährungssonde Säuglingsmilch zufüttern (s. Zufütterung an der Brust): Während das Baby an der Brust trinkt, erhält es Säuglingsmilch aus einem Schlauch. Auf diese Weise kommt das Baby in den Genuss der Muttermilch, die gebildet werden kann. Darüber hinaus erhält es die Nähe und die Geborgenheit wie beim Stillen und anatomisch gesunde Saugmöglichkeiten an der Brust. Oft kann noch zum Vollstillen übergegangen werden, wenn die zugrundeliegende Erkrankung effektiv behandelt wird. Das Stillen mit einem Brusternährungsset ist nicht selbsterklärend und sollte durch qualifizierte Beraterinnen unterstützt werden (siehe auch unser Stillberatungs-Verzeichnis).

Erkrankungen der Mutter, die Stillen und Muttermilchernährung ausschließen

  • Alkoholsucht
  • Drogenkonsum
  • exzessives Tabakkonsum
  • HIV-, HTLV- oder Ebola-Infektionen (siehe auch Stillen bei Infektionskrankheiten der Mutter)
  • Herpes-Infektionen an der Brust (Herpes an anderen Körperregionen ist kein Stillhindernis. Der Säugling darf aber nicht in Kontakt mit den Herpesläsionen kommen; Nach Abheilen der Herpesläsion ist Stillen an der betroffenen Brust wieder möglich)
  • Akute Krebserkrankungen (sobald die Krebstherapie beendet ist, kann wieder gestillt werden, in Absprache mit den Ärzten evtl. auch zwischen den Chemotherapie-Zyklen; bei Stillwunsch die Milchbildung mithilfe von Pumpen aufbauen und aufrechterhalten; die Milchbildung kann allerdings zurückgehen, siehe auch Brustkrebs und Stillen)
  • Diagnostik und Therapie bei Schilddrüsenerkrankungen mit radioaktivem Jod: Eine stillende Frau muss mindestens sechs Wochen vor einer Radio-Jod-Therapie abstillen. Denn das radioaktive Jod reichert sich in der stillenden Brust an und führt zu einer hohen Strahlenbelastung für die Mutter.

Erkrankungen des Kindes, bei denen direktes Stillen vorübergehend oder langfristig nicht immer möglich ist, aber Muttermilch die beste Ernährung darstellt

  • hartnäckige Brustverweigerung
  • Frühgeburt: In vielen Fällen kann das Stillen Schritt für Schritt etabliert werden, sobald das Baby dazu in der Lage ist (s. Muttermilchernährung und Stillen von Frühgeborenen)
  • Saugschwäche (Zufütterung an der Brust von Muttermilch ggf. industrielle Milch sinnvoll)
  • Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (sogunfähige Babys können abgepumpte Muttermilch ggf. an der Brust gefüttert werden)
  • Gewisse neurologische Beeinträchtigungen
  • Pierre-Robin-Sequenz
  • Choanalatresie
  • Chylothorax (hier muss die Muttermilch vorher entrahmt und supplementiert werden)

Stoffwechselerkrankungen des Säuglings

  • Galaktosämie (Stillen oder Ernährung mit Muttermilch ist ausgeschlossen)
  • Phenylketonurie (Teilstillen ist möglich und empfehlenswert, ergänzt durch phenylalaninfreie Spezialnahrung)

Online-Austausch für Mütter, bei denen das Stillen nicht geklappt hat.

mehr Infos >>

Falls Sie sich nicht sicher sind, ob Stillen bei Ihnen möglich ist, kontaktieren Sie am besten eine examinierte Still- und Laktationsberaterin IBCLC (siehe auch unser Verzeichnis für Unterstützungsangebote). Diese Berufsgruppe kennt sich mit dieser komplexen Problematik am besten aus. Sie können Sie auch dann unterstützen, wenn Sie nicht stillen können.

Die WHO/UNICEF-Initiative BABYFREUNDLICH hat einen Flyer für Mütter herausgegeben, die ihre Babys nicht stillen können: Mit Nähe zum Baby die Flasche geben.

Quellen:

  • Both D, Frischknecht K: Stillen kompakt. Atlas zur Diagnostik und Therapie in der Stillberatung. Urban & Fischer, 2006
  • Joham AE, Nanayakkara N, Ranasinha S, Zoungas S, Boyle J, Harrison CL, Forder P, Loxton D, Vanky E, Teede HJ. Obesity, polycystic ovary syndrome and breastfeeding: an observational study. Acta Obstet Gynecol Scand. 2016 Apr;95(4):458-66.
  • Springer S: Stillen und Muttermilchernährung bei Frühgeborenen und kranken Neugeborenen und Säuglingen. In: Stillen und Muttermilchernährung. Grundlagen, Erfahrungen und Empfehlungen. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2001
  • Vanky E, Nordskar JJ, Leithe H, Hjorth-Hansen AK, Martinussen M, Carlsen SM. Breast size increment during pregnancy and breastfeeding in mothers with polycystic ovary syndrome: a follow-up study of a randomised controlled trial on metformin versus placebo. BJOG. 2012 Oct;119(11):1403-9.
  • Walker, M: Breastfeeding Management for the Clinician. Using the Evidence. Jones and Bartlett 2006
  • http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/031-003l_S1_Radioiodtherapie_benigne_Schilddruesenerkrankungen_2015-10.pdf

© Dr. Bauer – Publikationen in der Stillförderung. Text, Bilder und Videos sind urheberrechtlich geschützt. Letzte Ergänzungen: Juni 2023.

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