„Hilfe, meine Milch ist plötzlich weg!“ – Wenn der Milchspendereflex blockiert ist

Skizze eines stillenden Mutter-Kind-Paares mit Pfeilen vom Saugen zum Gehirn und vom Gehirn zur Brust
Das Saugen an der Brust sendet Nervenimpulse an den Hypothalamus. Der Hypothalamus stimuliert die Hypophyse, Oxytocin in die Blutbahn auszuschütten. Das Oxytozin gelangt in die Brustdrüsen, wo es den Milchspendereflex auslöst. Auch Berührungen der Brust oder das Schreien des Babys können zum Milchspendereflex führen. [modifiziert nach bearsky23]
In verschiedenen Situationen kann es vorkommen, dass bei einer Frau, die normalerweise problemlos stillt, beim Anlegen des Babys oder beim Abpumpen auf einmal keine Milch kommt. Vielleicht fließen noch wenige Tropfen Muttermilch, die sich in den Milchgängen befinden, aber es findet kein Milchspendereflex statt; die Milch verbleibt in der Brust. Warum so etwas passiert und was dagegen hilft, zeigt der folgende Artikel.

Saugt das Baby an der Brust oder wird die Brust auf andere Weise stimuliert, schicken so genannte „Mechanorezeptoren“ Nervenimpulse ans Gehirn der Mutter, und zwar an den Hypothalamus. Der Hypothalamus wiederum stimuliert die Hirnanhangsdrüse, das Speicherorgan von Oxytocin, welches durch die Stimulation Oxytocin in die Blutbahn ausschüttet. Oxytocin gelangt über die Blutbahn in die Milchdrüse und sorgt dafür, dass der Milchspendereflex ausgelöst wird. Dabei werden die Milchbläschen, in denen Milch produziert und gespeichert wird, durch glatte Muskelzellen zusammengedrückt, die Milch wird in die Milchgänge entleert und steht dem Baby über die Poren der Brustwarze zur Verfügung. So kann das Baby die Milch trinken und die Brust entleeren. Ist der Milchspendereflex hingegen blockiert, erhält das Baby höchstens wenige Milliliter Milch, die sich in den Milchgängen befinden.

Skizze des inneren Aufbaus der Brust mit Milchgängen, Milchdrüsen und der Alveolen.

Beim Milchspendereflex werden die Milchbläschen, in denen die Milch produziert und gespeichert wird, durch glatte Muskelzellen zusammengedrückt. Dadurch wird die Milch in die Milchgänge gepresst und zur Brustwarze befördert. Durch Blockade des Milchspendereflexes verbleibt die Milch in der Drüse. [modifiziert nach Tigatelu, Fotolia, und Vorherr, 1974]
Der beschriebene Steuerungsprozess des Milchspendereflexes kann durch verschiedene Faktoren gestört werden. Selbst wenn sich in der Brust noch reichlich Milch befindet, können seelische, physische oder pharmakologische Ursachen den Milchspendereflex hemmen und die Entleerung der Brust somit verhindern. Der wichtigste Gegenspieler von Oxytocin ist Adrenalin. Schockzustände nach Schicksalsschlägen wie Unfall, Todesfälle, Kriege, Vertreibung oder eine Naturkatastrophe blockieren vorübergehend  die Ausschüttung von Oxytocin. So wurde z.B. nach dem verheerenden Erdbeben von New Madrid im Jahre 1812 beschrieben, dass die Frauen plötzlich keine Milch mehr hatten und ihre Babys nicht mehr ernähren konnten. In akuter Gefahr werden durch Hormone nämlich Angriffs- und Fluchtverhalten ausgelöst – das Stillen wird blockiert. Es gibt eine Reihe weiterer unangenehmer seelischer Zustände, welche den Milchfluss hemmen, auch wenn nicht so gravierend wie bei einer existenziellen Bedrohung. So können große Sorgen einer Mutter um ihr frühgeborenes oder krankes Baby den Milchspendereflex beeinträchtigen. Angst, starker Stress, Anspannung, Zeitdruck oder Leistungsdruck in der Familie oder im Berufsleben können ebenfalls zur vorübergehenden Hemmung des Milchflusses führen, weil Adrenalin die Ausschüttung von Oxytocin blockiert.

Neben den seelischen Ursachen sind vor allem Alkohol, Kälte und Schmerzen für die Hemmung des Milchspendereflexes bekannt. Je höher die Alkoholkonzentration im Blut der Mutter, umso stärker wird der Milchspendereflex gehemmt (siehe den Artikel Genussmittel in der Stillzeit). Ebenfalls konnte in Experimenten gezeigt werden, dass der Milchfluss blockiert wird, wenn die Mutter ihre Füße in Eiswasser taucht. Ein weiterer häufiger Faktor sind Schmerzen. Werden Schmerzen z.B. nach einem Kaiserschnitt oder nach Geburtsverletzungen nicht gelindert, können sie den Milchspendereflex beeinträchtigen. Auch Schmerzen beim Stillen z.B. aufgrund eines oberflächlichen Anlegens oder wunder Brustwarzen hemmen den Milchfluss. Auch aus diesem Grund ist schnelle Hilfe durch Hebammen und Stillberaterinnen erforderlich.

Kann die Milch aufgrund ausgeprägter und langanhaltender Schmerzen, Angst- oder Schockzustände langfristig nicht entleert werden, wird die Milchbildung mit der Zeit gedrosselt. In den allermeisten Situationen im Alltag handelt es sich bei der Blockade des Milchspendereflexes um eine kurzfristige, vorübergehende und harmlose Situation, die gut in Griff gekriegt werden kann. Da die Sorge, keine Milch zu haben, den Milchspendereflex ebenfalls beeinträchtigen kann, sind Entspannung und Zuversicht wichtig, um einen Teufelskreis zu vermeiden.

Ist das Baby aufgebracht, weil es an der Brust keine Milch erhält, kann es auf andere Weise beruhigt werden, bis die Mutter wieder stillen kann, z.B. durch Herumtragen und Wiegen. Ist das Baby zu ausgehungert oder befindet sich die Mutter länger in einer Situation, in der ihr Milchspendereflex beeinträchtigt ist, kann das Baby vorübergehend z.B. mit zuvor eingefrorener Muttermilch gefüttert werden. Etwas Muttermilch mit Löffel in den Mund gegeben, kann das Baby meist etwas beruhigen. Die Milch kann neben Flasche und Löffel auch mit einem Becher gegeben werden.

Je nach Lebenssituation und persönlicher Veranlagung erleben manche Frauen öfter die Beeinträchtigung ihres Milchspendereflexes, während andere stillende Mütter dieses Problem nie erleben werden.

Neugeborenes Baby auf der Brust der Mutter unter einer dicken Decke
Entspannung, Wärme, Hautkontakt – das hilft den Milchfluss in Gang zu bringen. (© natalunatadeposit)

Was die Milch wieder zum Laufen bringt:

  • Die Gewissheit, dass die Milch da ist und nur vorübergehend nicht entleert werden kann: „Es wird schon!“
  • An etwas anderes – Positives oder Neutrales – denken, um sich von den Sorgen abzulenken
  • Eine bequeme, entspannte Körperposition
  • Ruhige Atmosphäre z.B. mit geschlossener Tür und ausgeschaltetem Telefon, um Störungen zu vermeiden
  • Wärme (warmer Rücken, warme Schultern, warme Füße, warme Brust, ggf. mithilfe von warmen Brustkompressen)
  • Entspannende Musik
  • Entspannungsübungen
  • Eine sanfte Brustmassage oder angenehmes Streicheln der Brust oder auch anderer Körperregionen mit warmen Händen
  • Schmerzt das Anlegen, dann sollte es idealerweise mithilfe einer Hebamme oder Stillberaterin optimiert werden (s. auch: Das korrekte Anlegen); notfalls kann die Milch vorübergehend auch mit Pumpe oder per Hand entleert werden
  • Auch Schmerzen anderer Ursachen sollten behandelt werden, eventuell auch mithilfe stillverträglicher Schmerzmittel
  • Falls das Baby nicht zugegen ist: ein Foto, Ton- oder Video-Aufnahmen und getragene Bekleidung vom Baby mit seinem Duft zu Hilfe nehmen
  • Falls das Baby da ist: Nähe und Hautkontakt herstellen (auch das Weinen des Babys hilft den Milchspendereflex auszulösen, sollte trotzdem nicht extra zugelassen werden; gerät die Mutter allerdings in Panik, wenn das Baby an ihrer Burst weint, ist es in manchen Situationen hilfreich, wenn eine andere Person das Kind nimmt und beruhigt und die Mutter ihre Brust auf andere Weise entleert).
  • Beim Abpumpen Brust und den Auffangbehälter abdecken und an andere Sachen denken, um Sorgen vor geringen Milchmengen zu vermeiden.
  • Alkoholkonsum in der Stillzeit vermeiden oder auf ein Minimum reduzieren. Etwa 2 Stunden nach dem Alkoholkonsum fließt die Milch wieder unbeeinträchtigt.

Quellen:

  • Lawrence RA, Lawrence RM: Breastfeeding. A guide for the medical profession. Elsevier, 8. Auflage 2016; S. 260-265.
  • Mohrbacher N, Stock J: Handbuch für die stillende Mutter. La Leche Liga, 2002, S. 229.
  • Wambach K, Riordan J: Breastfeeding and Human Lactation. Jones & Bartlett Learning, 5. Aufl. 2016. S. 92.

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