Etwa 6 bis 8% der Schwangeren sind von hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft wie Schwangerschaftsbluthochdruck (Schwangerschaftshypertonie) betroffen, 2% entwickeln eine Präeklampsie. Bei Müttern mit hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen startet der Beginn der reichlichen Milchbildung oft verspätet und die Milchmenge bleibt oft unterhalb der erforderlichen Menge. Dies ist die Folge zahlreicher Herausforderungen. Es hängt von der Qualität der Unterstützung durch das Fachpersonal und der Informiertheit und der Entschlossenheit der Mutter und ihrer Angehörigen ab, ob das Stillen aufgegeben oder mit der Zeit Teil- oder sogar Vollstillen erreicht wird.
Am Anfang kann die Etablierung des Stillens sehr viel Kraft und Überwindung kosten, zumal die Erkrankung selbst und die Ausnahmesituation einer meist zu frühen Entbindung ohnehin eine große körperliche und psychische Belastung darstellen. Doch die Investition lohnt sich langfristig. Denn Stillen hat langfristig einen gewissen schützenden Effekt vor Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, gynäkologischen Krebserkrankungen und der Entwicklung von Diabetes Typ 2 bei der Mutter. Es hat auch für die Mutter-Kind-Bindung und die Gesundheit des Babys große Bedeutung. Jeder Tropfen Muttermilch schützt das Baby (s. Warum Stillen so wichtig ist).
Der folgende Beitrag zeigt Herausforderungen bei Präeklampsie und weiteren hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen für den Stillbeginn und Maßnahmen für deren Bewältigung auf.
Was sind hypertensive Schwangerschaftserkrankungen?
Zu den hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft gehören Schwangerschaftshypertonie (Gestationshypertonie), Präeklampsie, Eklampsie, chronischer Bluthochdruck mit überlagernder Präeklampsie und das HELLP-Syndrom. Die Begriffe “Gestose” und “Schwangerschaftsvergiftung” werden bei Bluthochdruck in der Schwangerschaft und anderen schwangerschaftsinduzierten Erkrankungen ebenfalls verwendet.
Chronischer oder bereits bestehender Bluthochdruck wird vor der Schwangerschaft oder vor der 20. Schwangerschaftswoche diagnostiziert. Bei Schwangerschaftshypertonie und Präeklampsie handelt es sich um neu auftretenden Bluthochdruck nach der 20. Schwangerschaftswoche bei einer Person mit zuvor normalem Blutdruck.
Screening auf hypertensive Erkrankungen ist fester Bestandteil der Schwangerenvorsorge. Sie treten überwiegend nach der 34. Schwangerschaftswoche auf.
Bei einer Präeklampsie liegt neben Bluthochdruck (≥ 140/90 mm Hg) auch eine Proteinurie, also eine erhöhte Ausscheidung von Eiweiß im Urin, oder eines der folgenden Anzeichen oder Symptome vor: Thrombozytopenie (verminderte Anzahl (<150.000/µl) von Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut), eingeschränkte Leberfunktion (erhöhte Konzentrationen von Leberenzymen im Blut und schwere, anhaltende Schmerzen im rechten Oberbauch), Niereninsuffizienz (Unterfunktion der Nieren), Lungenödem, neu auftretende Kopfschmerzen oder Sehstörungen. Auch Übelkeit und Erbrechen sowie Ödeme durch Wassereinlagerungen können auftreten.
Unter Eklampsie versteht man das Auftreten von Krampfanfällen bei Personen mit Präeklampsie und ohne vorheriges Anfallsleiden wie Epilepsie.
Das HELLP-Syndrom ist eine schwere Form der Präeklampsie, die aufgrund einer Konstellation von Laborbefunden (Hämolyse, erhöhte Leberenzyme und niedrige Thrombozytenzahl) diagnostiziert wird. HELLP steht für “Hemolysis”, “ELevated liver enzymes” und “Low Platelet Count”.
Stationärer Klinikaufenthalt und vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft
Die einzige kausale Therapie von hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen ist die Entbindung, genauer genommen die Geburt der Plazenta. Die Erkrankung erfordert die stationäre Aufnahme der Schwangeren für eine engmaschige Überwachung und Symptomkontrolle sowie für die Entscheidungsfindung, wann und wie die Schwangerschaft beendet werden soll. Hierbei findet eine Abwägung zwischen den Nachteilen einer zu frühen Geburt für das Kind einerseits und den Nachteilen der Erkrankung für die Mutter und auch für die Entwicklung des Kindes im Mutterleib andererseits statt.
Spätestens nach der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche wird bei hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen die Geburt eingeleitet. Bei schwerer Präeklampsie wird die Frau ab der vollendeten 34. Schwangerschaftswoche entbunden, ggf. auch früher, wenn der Gesundheitszustand der Mutter oder des Kindes dies erforderlich macht.
Auswirkungen der Erkrankung auf die Geburt und das Wochenbett
Die Geburt wird in der Regel medikamentös eingeleitet. Eine vaginale Geburt ist oft möglich, andererseits findet oft ein Kaiserschnitt statt, geplant oder als Notkaiserschnitt. Vor der Entbindung werden zur Lungenreifung des Kindes ggf. Steroide verabreicht. Je nach dem Zustand des Neugeborenen darf es nach der Entbindung bei der Mutter in Hautkontakt bleiben und auch an der Brust andocken oder es wird versorgt und auf die Neonatologie gebracht. Das Neugeborene kann aufgrund seiner Frühgeburt, der Medikamente unter der Geburt und – bei schwerer Präeklampsie einem eventuellen Wachstumsrückstand – zu schwach sein, um effektiv an der Brust zu trinken.
Die engmaschige Überwachung und Therapie der Mutter wird in der Regel auch nach der Geburt fortgesetzt. Die Infusionen / Medikamente, die üblicherweise eingesetzt werden, sind meist kompatibel mit dem Stillen, stellen also kein Stillhindernis dar.
Nicht nur die Therapie gegen den Bluthochdruck, sondern auch die Magnesium-Infusion, welche vor Krampfanfällen schützt, wird in den ersten Tagen nach der Geburt meist noch fortgesetzt. Die Mutter ist infolge der Erkrankung, den Strapazen der Geburt und der verabreichten Medikamente in den ersten Tagen oft noch sehr schwach, schläfrig und benommen, möglicherweise nicht in der Lage, ihr Kind zu halten und zu stillen oder ihre erste Milch zu gewinnen. Eine zusätzliche Herausforderung sind die Brustödeme, welche das Erfassen der Brust durch das Baby erschweren und zu wunden Brustwarzen führen können. Die Brustödeme können 7–10 Tage lang anhalten.
Die hypertensive Erkrankung klingt nach der Geburt langsam ab, bei einem Drittel bis zu einer guten Hälfte der Betroffenen innerhalb von 3 Tagen, und bei der überwiegenden Mehrheit innerhalb der ersten Woche nach der Geburt.
Herausforderungen für das Stillen
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen wie Präeklampsie sowie deren Behandlung können die Milchbildung der Frau, die Saugfähigkeit des Babys und das Stillen auf vielfältige Weise beeinträchtigen. Folgende Faktoren tragen dazu bei:
- Geburtseinleitungen
- Kaiserschnitt
- große Flüssigkeitsmengen durch Infusionen und dadurch entstehende Brustödeme
- Magnesium-Infusionen (machen die Frau schläfrig und verzögern die Milchbildung)
- Frühgeburt bzw. späte Frühgeburt
- eventuelle Wachstumsverzögerung
- Schläfrigkeit und Saugschwäche seitens des Kindes in der ersten Zeit nach der Geburt
- die verabreichten Steroide zur Lungenreifung (verzögern die Milchbildung)
- Trennung von Mutter und Kind
- Schläfrigkeit und Schwäche der Mutter im Wochenbett
All diese Faktoren erschweren bereits einzeln das Stillen und addieren sich auf.
Maßnahmen zur Überwindung der Herausforderungen
Die vielen Herausforderungen bedeuten nicht, dass Teil- oder gar Vollstillen mit der Zeit nicht erreicht werden können. Es ist aber wichtig zu wissen, wie es geht. Engagierte Fachpersonen, die sich mit komplexen Stillproblemen auskennen und die Familien beim Aufbau der Milchbildung und des Stillens begleiten, können weiterhelfen. Am Anfang kann die Etablierung des Stillens sehr viel Anstrengung kosten in einer Zeit, wo die Frau durch die Erkrankung, die Strapazen der Geburt und die oft verfrühte Entbindung noch körperlich und seelisch sehr mitgenommen ist. Doch diese Investition zahlt sich langfristig aus.
Milchgewinnung per Hand und Pumpe
Das neugeborene Baby kann nach einer Präeklampsie und weiteren hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen die Milchbildung der Mutter wahrscheinlich nicht ausreichend stimulieren: Es ist wahrscheinlich noch zu unreif, zu schlaff und zu schläfrig, vielleicht muss es auch auf die Neonatologie verlegt werden. Es ist umso wichtiger, die Milchbildung der Mutter durch manuelle Kolostrumgewinnung und Pumpen in Gang zu bringen. Idealerweise werden 8 bis 12 Stimulierungen pro Brust per Pumpe und Hand innerhalb von 24 Stunden erreicht und die erste Kolostrumgewinnung findet innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt statt.
Falls diese Ziele nicht realisierbar sind, dann müssen sie an das Machbare angepasst werden. Generell gilt: je früher, häufiger und effektiver die Brust entleert wird, umso früher und umso mehr Milch wird gebildet.
Auch wenn das Baby an der Brust saugen kann, ist es empfehlenswert, die Brust zusätzlich regelmäßig per Hand und Pumpe zu entleeren, z.B. nach dem Stillen, und die gewonnene Milch dem Baby zu geben, um auf diese Weise die Saugschwäche des Babys zu kompensieren, und die Milchbildung zusätzlich zu stimulieren.
Wichtig: Die Bedeutung der frühen Kolostrumgewinnung am ersten Tag nach der Geburt für die langfristige Milchbildung kann nicht überschätzt werden.
Nach Möglichkeit sollten die Mutter und ihre Angehörigen die manuelle Kolostrumgewinnung und die Gewinnung per Pumpe bereits vor der Geburt erlernen, damit sie diese nach der Geburt direkt praktizieren können (siehe hierzu auch das kostenpflichtige Premium-Modul “Brustmassage und Kolostrumgewinnung”).
Auch wenn pro Handgewinnungs- und Pumpvorgang kaum Milch gewonnen wird, sollte die regelmäßige Bruststimulation möglichst 8- bis 12-mal in 24 Stunden konsequent täglich fortgesetzt werden, bis die Milchmenge langsam beginnt zu steigen und bis die erwünschte Milchbildung erreicht ist, bzw. Baby und Mutter so fit sind, dass sie stillen können.
Eine ausführliche Anleitung, wie die Milchbildung aufgebaut werden kann, findet sich im Artikel Aufbau und Aufrechterhaltung der Milchbildung nach Frühgeburt. Weitere Informationen finden sich auch im Artikel Wenn der Start der reichlichen Milchbildung auf sich warten lässt – der verspätete „Milcheinschuss“.
Hilfe beim Anlegen und der Milchgewinnung
Durch die Erkrankung, die Strapazen der Geburt und auch die Medikationen kann die Frau in der ersten Zeit nach der Geburt sehr schläfrig, benommen und schwach sein. So kann ihr die Energie fehlen, ihr Baby anzulegen oder ihre Milch zu gewinnen. In solchen Situationen braucht die Mutter unbedingt Unterstützung durch Fachkräfte und Angehörige, die ihr helfen, das Baby anzulegen bzw. die Pumpe bei ihr anzusetzen und zu bedienen bzw. das Kolostrum manuell zu gewinnen, um den Start der Milchbildung in Gang zu setzen. Die Fachpersonen und die Angehörigen sollten das Einverständnis der Frau einholen.
Wenn die Mutter fit genug ist, um ihr Baby zu halten, darf sie es auch stillen.
Umgang mit den Brustödemen
Frauen mit hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen können auch nach der Geburt noch viele Tage Ödeme aufweisen, auch die Brust kann eine Woche und länger betroffen sein. Damit das Baby die Brust erfassen kann, werden die so genannte Reverse Pressure Softening und Lymphmassagen verwendet. Diese drängen das Brustödem vorübergehend zurück. Ausführliche Informationen hierzu finden sich im Artikel Verstärkte initiale Brustdrüsenschwellung.
Zufütterung
Die Magnesium-Infusionen, die Steroid-Gabe zur Lungenreifung des Säuglings und die anderen erwähnten Faktoren führen zur Verzögerung des Milcheinschusses (Laktogenese II), also des Beginns der reichlichen Milchbildung. Bei gesunden Mutter-Kind-Paaren und unkomplizierten Geburten findet der Milcheinschuss am 3. oder 4. Tag statt, nach einer Präeklampsie jedoch erst nach 5 bis 7 Tagen und die anschließende Milchbildung ist geringer als bei gesunden Mutter-Kind-Paaren. Das bedeutet, dass der Milchbedarf des Neugeborenen durch Muttermilch vorübergehend oder längerfristig nicht gedeckt werden kann und Zufütterung erforderlich wird.
Um das Stillen zu schützen, sollte die Zufütterung möglichst nicht mit der Flasche, sondern mit alternativen Fütterungsmethoden wie Löffel, Spritze, Becher, Sonde und an der Brust, z.B. per Brusternährungsset erfolgen. Auch wenn vorübergehend die Flasche verwendet wurde, sollte diese möglichst bald weggelassen werden, um die Zufütterung idealerweise an der Brust fortzusetzen.
Weitere Informationen finden sich in den Artikeln Muttermilch und Säuglingsmilch stillfreundlich füttern und Teilstillen – Wenn Muttermilch nicht ausreicht.
Quellen
- AWMF Leitlinienprogramm der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, S2K-Leitlinie: Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie, Registernummer 015/018. Stand März 2019: <https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-018l_S2k_Diagnostik_Therapie_hypertensiver_Schwangerschaftserkrankungen_2019-07.pdf
- Henderson JT, Webber EM, Vesco KK, Thomas RG. Screening for Hypertensive Disorders of Pregnancy: An Evidence Update for the U.S. Preventive Services Task Force [Internet]. Rockville (MD): Agency for Healthcare Research and Quality (US); 2023 Sep. Report No.: 22-05299-EF-1.
- Ward-Moore A: Peripartum and immediate postpartum complications. Postpartum recovery. Lactation Education Resources, Lactation Training Program. 2024.
© Dr. Bauer – Publikationen in der Stillförderung. Text, Bilder und Videos sind urheberrechtlich geschützt. Stand: Januar 2025.