Warum das Stillen häufig nicht klappt

Die Mutter gebärt im Krankenhaus
Der natürliche Geburtsprozess gerät in vielen Krankenhäusern durcheinander.

Stillen beruht auf einer hochkomplexen Interaktion zwischen Mutter und Kind, die sehr empfindlich gegenüber Störfaktoren ist. Die Krankenhausroutine ist an vielen Entbindungskliniken ausgesprochen ungünstig für die Etablierung einer funktionierenden Stillbeziehung, da sie in den natürlichen Ablauf der Geburt und der Neugeborenenzeit eingreift. Darüber hinaus mangelt es an den meisten Geburtskliniken an Fachpersonal, welches Zeit für die individuelle Begleitung von Mutter und Kind mitbringen kann und über eine ausreichende Fortbildung in der Still- und Laktationsberatung verfügt. Eine Reihe von äußeren Umständen wirken sich aufs Stillen nachteilig aus, sodass viele Frauen, die das biologische Potenzial einer vollen Milchbildung mitbringen, schließlich doch nicht stillen können.

Medikamente während der Geburt

Schmerzmittel, Narkotika, Wehenmittel und eine ganze Reihe weiterer Medikamente unter der Geburt wirken nicht nur auf die Mutter, sondern auch auf das Baby. Dadurch wird das Baby nach der Geburt schläfrig und benommen, sein angeborenes Such- und Andockverhalten kommt durcheinander. Schläfrige Babys saugen seltener und nicht so effektiv an der Brust wie muntere Babys und regen die Milchbildung daher nicht so effektiv an. Auch die intuitiven mütterlichen Reaktionen unmittelbar nach der Geburt können sich durch die Medikamente verändern, wodurch die feine Abstimmung zwischen Mutter und Baby gestört wird. Infusionen unter der Geburt können den Stillstart ebenfalls erschweren, da sie zu Anschwellungen des Brustwarzenbereichs und zu einer gewissen Überwässerung beim Baby führen können. Das erschwert das Andocken nach der Geburt und kann möglicherweise auch den Appetit des Babys beeinträchtigen, sodass die Milchbildung der Mutter durch das Baby nicht ausreichend angeregt wird und sich der Milcheinschuss verzögern kann  (über Zusammenhänge der Milchbildung s. Die Milchmenge steigern, wie man mehr Milch bilden kann). Eine Geburt ohne Medikamente ist aus der Sicht des Stillens am besten. Wenn Schmerzmittel eingesetzt werden, sollten möglichst diejenigen bevorzugt werden, die das Baby weniger beeinträchtigen. Medikamente sind bei manchen Geburten jedoch unverzichtbar. Bei einem guten anschließenden Stillmanagement (frühes erstes Stillen innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt, häufiges Anlegen rund um die Uhr mindestens 8- bis 12-mal in 24 Stunden, ggf. sanftes Wecken des Babys, wenn es länger als 3 Stunden schläft und / oder Entleerung der Brust per Hand oder Pumpe, emotionale und praktische Unterstützung) können die Anfangsschwierigkeiten überwunden werden.

Trennung von Mutter und Kind direkt nach der Geburt

schreiendes Neugeborenes auf einem medizinischen Tisch
Das Baby wird nach der Geburt von der Mutter weggenommen, um es zu wiegen, messen und medizinisch zu untersuchen

Lange Zeit war es in deutschen Entbindungskliniken üblich, das Neugeborene von der Mutter gleich nach der Entbindung zu trennen. Es ist inzwischen klar geworden, dass direkter, ungestörter Hautkontakt in den ersten Stunden nach der Geburt nicht nur die Mutter-Kind-Bindung fördert, sondern auch das spätere Stillen erleichtert. Legt man das Neugeborene gleich nach der Geburt auf den nackten Bauch oder die Brust der Mutter, oder nimmt die Mutter das Kind selber hoch, fängt das Baby nach einer ersten Verschnaufpause an, nach der Brust der Mutter zu suchen. Es hebt den Kopf, bewegt sich ohne Hilfe zur Brust, nimmt die Brustwarze in den Mund und fängt an zu saugen. Dafür braucht es durchschnittlich etwa 60 Minuten (siehe auch Erstes Stillen nach der Geburt). Medikamente während der Geburt und eine Trennung des Kindes von der Mutter für Untersuchungen und ärztliche Routinemaßnahmen stören diesen Prozess. In solchen Fällen braucht das Baby wesentlich länger, bis es an der Brust saugen kann. Häufig schläft es sogar vorher ein. Fällt die frühe Entleerung von Kolostrum aus, kann sich der Milcheinschuss verspäten.

In immer mehr Krankenhäusern dürfen Mutter und Kind nach der Geburt mehrere Stunden im Kreißsaal ungestört, aber unter der Aufsicht einer Hebamme, zusammen verbringen. Die erste Untersuchung des Babys (U1) wird erst vorgenommen, nach dem das erste Stillen stattgefunden hat. Die Babys werden nicht einmal gebadet, sondern nur trockengetupft. Das sind optimale Bedingungen für den Stillbeginn. Auch die Verlegung auf die Wochenstation findet optimalerweise ohne Trennung von Mutter und Kind, sondern in ungestörtem Hautkontakt statt.

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Stillschwierigkeiten im Frühwochenbett: Erste Hilfsmaßnahmen
stillendes Neugeborenes

Wenn ein erstes Stillen innerhalb der ersten 60 bis 90 Minuten nach der Geburt nicht stattfindet, dann sollte etwas Kolostrum per Hand entleert werden, um die Milchbildung anzuregen und das Baby damit zu füttern. Neugeborene, die gleich nach der Geburt nicht an der Brust trinken konnten, schlafen häufig besonders lange. In solchen Fällen soll man versuchen, das Baby in regelmäßigen Zeitabständen behutsam zu wecken und den Suchreflex durch Berühren der Lippen mit der Brustwarze auszulösen. Sobald der Suchreflex da ist, kann das Baby gestillt werden. Ist das Baby am ersten Tag (z.B. aufgrund der Medikationen) noch nicht in der Lage, effektiv an der Brust zu saugen, dann sollte es am besten handentleertes Kolostrum mit einem Löffel gefüttert bekommen (8- bis 12-mal in 24 Stunden).

Kaiserschnitt

Eine Kaiserschnittentbindung hat mit einer natürlichen Geburt nicht viel gemeinsam und eine Reihe verschiedener körperlicher Prozesse geraten bei Kind und Mutter durcheinander. So kann der Milchspendereflex der Mutter in der Anfangszeit gestört sein. Auch das Kind hat häufig Anpassungsschwierigkeiten, ist schläfrig und kann nicht effektiv saugen. Insbesondere bei geplantem, so genannten primärem Kaiserschnitt, bei dem das Kind keine Wehen erlebt hat und auf die Geburt noch gar nicht vorbereitet war, fehlt bei ihm in den ersten Stunden bis Tagen mitunter das natürliche Such- und Andockverhalten. Das Kind wird außerdem häufig mehrere Stunden später zum ersten Mal angelegt als bei einer natürlichen Geburt. Hinzukommt, dass die Mutter in den ersten Tagen immer Assistenz braucht, wenn sie ihr Kind anlegen will, was öfter dazu führt, dass das Kind zu selten gestillt wird. Als Folge verzögert sich der Milcheinschuss und das Baby muss zugefüttert werden. Das Risiko für Milchbildungs- und Stillprobleme ist deutlich erhöht.

Kaiserschnitt hat bei Komplikationen seine Berechtigung und lässt sich deshalb nicht immer vermeiden. Durch möglichst frühes und häufiges Anlegen bzw. frühes und regelmäßiges Entleeren und Füttern von Kolostrum können die Anfangsschwierigkeiten gemeistert werden. Mehr zum Thema s. im Artikel Stillen nach Kaiserschnitt.

Trennung von Mutter und Kind im Wochenbett

Von der Mutter weggenommen schreien Babys viel und haben keinen Zugang zur Brust
Von der Mutter weggenommen schreien Babys viel und haben keinen Zugang zur Brust. Sie werden zu selten und zu spät gestillt.

Das Zusammensein von Mutter und Kind rund um die Uhr ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Stillbeziehung, denn es ermöglicht das Stillen nach Bedarf. Idealerweise haben Mutter und Kind viel Haut- und Körperkontakt rund um die Uhr. Die Mütter reagieren auf die Signale ihrer Babys viel früher, wenn sie nah zueinander sind oder sich gar berühren (mehr zu den Stillzeichen s. im Artikel Das korrekte Anlegen). So wird das Baby häufiger gestillt und bereits bei den ersten subtilen Stillzeichen angelegt, wenn es noch ausgeglichen und geduldig ist. Zusammenschlafen in einem Bett (Bedsharing) fördert nachgewiesenermaßen das Stillen (siehe die Artikelreihe Stillen und Schlafen).

Nachts werden die Babys in manchen Krankenhäusern eingesammelt und auf das Säuglingszimmer gebracht, damit die Mütter sich nach der Geburt erholen können. Selbst wenn die Möglichkeit besteht, die Kinder auch nachts zu behalten, wird dies einer Erhebung zufolge von nur 10% der Mütter wahrgenommen. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Mütter die Kinder nicht zu sich ins Bett nehmen können, wenn die Betten zu schmal, zu hoch und ungesichert sind. So könnte das Baby gefährdet sein, wenn die Mutter einschläft. Keine Mutter kann sich erholen, wenn sie nachts das Kind zum Stillen aus dem Bettchen nehmen und es nach dem Stillen wieder zurücklegen muss. Wenn Mutter und Kind sicher zusammenschlafen können, dann kann die Mutter ihr Kind im Halbschlaf stillen und während des Stillens wieder mit ihm einschlafen. Unter solchen Umständen erholt sich die Mutter sogar besser, als wenn das Kind von ihr getrennt im Säuglingszimmer liegt. Heutzutage haben zahlreiche Kliniken 24-Stunden-Rooming-in, einige haben Beistellbetten angeschafft, die ohne trennendes Gitter an die Betten der Mütter gestellt werden können. Noch besser ist es, wenn Mutter und Kind sowohl in der Geburtsklinik als auch zu Hause direkt nebeneinander schlafen (Bedding-in), denn auch das Beistellbett ist bereits zu weit und führt zu selteneren Stillmahlzeiten als das gemeinsame Bett (siehe die Artikelreihe Stillen und Schlafen).

Neugeborenes Baby liegt auf der Wochenstation im eigenen Bettchen, getrennt von den Eltern
Auch wenn das Baby im separaten Bettchen liegt, werden seine subtilen Stillzeichen oft übersehen. Es wird seltener und oft zu spät gestillt.

Eine Trennung von Mutter und Kind verursacht verschiedene Stillprobleme: Durch das seltenere Anlegen wird die Milchbildung der Mutter zu wenig angeregt. Zu wenig Milch kann die Folge sein. Das Baby kann bereits zu aufgebracht sein, wenn es zu spät angelegt wird, sodass das Stillen nicht zu funktionieren scheint (s. Das Anlegen des Babys). Bei manchen Müttern können durch die Trennung und das zu seltene Stillen spannende Brüste infolge der initialen Brustdrüsenschwellung, Milchstau und wunde Brustwarzen resultieren. Aber auch sonst hat eine Trennung nachteilige Auswirkungen. Sie kann eine Wochenbettdepression bei der Mutter fördern und ihr Selbstvertrauen in ihre eigenen mütterlichen Kompetenzen schwächen. Den Säugling setzt eine Trennung extremem Stress aus. In früheren Zeiten der Menschheitsgeschichte bedeutete eine Trennung von der Mutter akute Lebensgefahr. Babys schreien in diesen Fällen instinktiv um ihr Leben (s. auch Bedeutung des direkten Hautkontakts).

In manchen Krankenhäusern werden die Neugeborenen nicht mehr in Kleider gesteckt. Sie verbringen den ganzen Tag bei ihren Müttern an der Brust und in engem Hautkontakt. Auf solchen Wochenstationen hört man kaum ein Baby schreien.

Suboptimales Anlegen

Das richtige Anlegen eines Babys zum Stillen ist alles andere als trivial. Wir müssen es gezeigt bekommen und einüben. Leider erhalten frischgebackene Mütter oft nicht die notwendige Unterstützung, die sie bräuchten. Oder sie trauen sich nicht, die gestressten Hebammen und Schwestern zu “stören”, da diese ohnehin unter Zeitdruck stehen und sehr viele Patientinnen in kurzer Zeit betreuen müssen. Dabei ist es ganz wichtig, dass bei den ersten Anlegeversuchen jemand assistiert, der die Mutter anleiten kann, bis das Baby das effektive Saugen an der Brust gelernt hat.

Online-Austausch für Mütter, bei denen das Stillen nicht geklappt hat.

Mutter und Baby kuscheln im Schaukelstuhl

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Wenn das Baby nicht richtig angelegt wird, kann es nicht effektiv trinken. Zudem wird die Brustwarze durch die falsche Beanspruchung wund, was das weitere Stillen sehr schmerzhaft macht (siehe Wunde Brustwarzen). Auch beim Milcheinschuss können Probleme mit dem Anlegen entstehen, weil das Baby die Brustwarze bei einer zu prallen Brust nicht richtig erfassen kann (siehe Initiale Brustdrüsenschwellung). Mehr zum optimalen Anlegen siehe im Artikel Das korrekte Anlegen.

An der überwiegenden Mehrheit der Geburtskliniken erhalten Mütter keine Anleitung zum Stillen und Anlegen. In Krankenhäusern, in denen der Stillförderung große Bedeutung beigemessen wird, werden die Mütter zum Stillen angeleitet und das effektive Anlegen wird in jeder Schicht mindestens einmal begleitet und dokumentiert.

Forcieren

Lässt man dem Baby Zeit, selber die Brust zu finden, wird es auf die richtige Art und Weise an der Brust „andocken“ (siehe auch Laid-back-nursing). Manchmal sind die Erwachsenen jedoch ungeduldig und drehen den Kopf des Babys in Richtung Brust, drücken gegen den Hinterkopf oder schieben die Brustwarze in den unwilligen Mund. Dies kann einen Reflex hervorrufen, bei dem das Baby die Zunge aufwärts gegen den Gaumen schiebt und so das Saugen unmöglich macht. Die sogenannte Brustscheu kann auf diese Weise beginnen. Daher soll man niemals mit Druck versuchen, ein Baby anzulegen. Ein schläfriges Baby soll sanft geweckt und zum Stillen animiert werden. Ansonsten sollen die Stillzeichen des Babys beachtet werden.

Zufüttern

Neugeborenes wird mit Flasche gefüttert
Zufüttern ohne medizinischen Grund untergräbt den Stillerfolg

Zufüttern bei vermeintlich ungenügender Milchproduktion ohne medizinische Indikation untergräbt ganz erheblich den Stillerfolg: Wegen mangelnden Bedarfs wird die Milchproduktion nicht ausreichend angeregt. Es wird noch mehr zugefüttert, und es entsteht ein Teufelskreis, der zum Abstillen führt.

  • Eine Zufütterung soll nur auf medizinische Indikation hin möglichst nur vorübergehend geschehen, z.B. wenn beim Neugeborenen ein Gewichtsverlust von mehr als 10% des Geburtsgewichtes entsteht, die Ausscheidungen und der Gewichtsverlauf auf unzureichende Versorgung mit Muttermilch hinweisen und stillberaterische Maßnahmen nicht erfolgreich waren (siehe auch: Bekommt mein baby genug Muttermilch?). Anstelle der Saugflasche sollte dann möglichst mittels alternativer Fütterungstechniken zugefüttert werden, um dem Risiko der Saugverwirrung vorzubeugen. Das medizinische Fachpersonal ist idealerweise in diesen alternativen Fütterungsmethoden geschult – dies ist allerdings nur in einem Bruchteil der Geburtskliniken der Fall.
  • Um die Milchbildung anzuregen, sollte das Baby oft an der Brust trinken, mindestes 8- bis -12-mal in 24 Stunden bis mehrmals die Stunde. Am ersten Tag nach der Geburt trinken Babys weniger als 100 ml, nach 4 Tagen und bei pünktlichem Milcheinschuss bereits durchschnittlich 600 ml am Tag (siehe auch den Artikel Milchbildung in den ersten Tagen nach der Geburt). Wie oft Babys später trinken, ist nicht nur individuell sehr unterschiedlich. Auch bei dem einen und selben Stillpaar kann die Häufigkeit der Stillmahlzeiten von Tag zu Tag variieren. In einer australischen Studie mit 71 erfolgreich vollstillenden Müttern wurde durchschnittlich 11-mal am Tag gestillt. Die Stillhäufigkeit variierte zwischen 6- und 18-mal am Tag. In allen existierenden Jäger- und Sammlergesellschaften wird mehrmals die Stunde gestillt, bei den !Kung durchschnittlich 4-mal die Stunde rund um die Uhr.

Schnullerbenutzung

SchnullerDer Effekt der Schnullerbenutzung auf den Stillerfolg war lange umstritten. Mittlerweile ist die nachteilige Wirkung von früher Schnullerbenutzung auf die Stilldauer belegt. Es wird empfohlen, dass zumindest in den ersten 4–8 Wochen, besser während der ganzen Stillzeit, auf Schnuller verzichtet wird. Babys, die nach Bedarf gestillt werden, auch zum Einschlafen und zum Trost, brauchen keinen Schnuller.

Die negative Wirkung des Schnullers auf das Stillen wird auf folgende Weise erklärt: Das Baby befriedigt mit dem Schnuller einen Teil seines Saugbedürfnisses. Weniger saugen an der Brust und dadurch zu wenig Milch können die Folge sein. Außerdem kann das Saugen am Schnuller insbesondere in den ersten Tagen und Wochen das Erlernen des richtigen Saugens an der Brust stören. Dies kann wunde Brustwarzen und Saugverwirrung verursachen.

Bei manchen Mutter-Kind-Paaren verursachen Schnuller keine Stillprobleme. Bei anderen kann exzessive Schnullerbenutzung jedoch zu Stillproblemen und evtl. sogar Gedeihstörungen führen.

Stillen nach der Uhr

UhrEs gibt immer noch Großeltern und Fachpersonen, die zum strengen Stillregiment mahnen. Doch zum Glück kommt Stillen nach der Uhr – bei dem ein Baby nur alle zwei, drei oder sogar vier Stunden angelegt wird – aus der Mode. Es hat sich herausgestellt, dass es große individuelle Unterschiede in der Speicherkapazität der Brust gibt. Auch rechte und linke Brust produzieren bei jeder Frau unterschiedlich viel Milch. Die Häufigkeit des Stillens richtet sich u.a. nach der Speicherkapazität der Brust und dem kindlichen Appetit. Je kleiner die Speicherkapazität der Brust, umso häufiger muss gestillt werden, damit das Baby gut versorgt wird. Zudem scheint es einen gewissen zirkadianen Rhythmus zu geben. Viele Babys stillen am Nachmittag / am Abend / in der ersten Nachthälfte besonders häufig (s. Cluster-Stillen). Dies zuzulassen ist wichtig, damit das Baby die Milchbildung seiner Mutter an seine Bedürfnisse anpassen kann. Denn das Baby reguliert die Milchproduktion seiner Mutter u.a. durch die Stillhäufigkeit. Trinkt das Baby häufiger und entleert die Brust stärker, wird die Geschwindigkeit der Milchbildung gesteigert, Brustdrüsengewebe vermehrt sich weiter. Bei größeren Abständen kann die Geschwindigkeit der Milchbildung nachlassen und Brustdrüsengewebe abgebaut werden (s. mehr zur kurzfristigen und langfristigen Regulation der Milchbildung). Legen die Erwachsenen die Stillzeitpunkte fest, werden die Bedürfnisse des Babys außerdem ignoriert. Manche Babys schlafen weiter, wenn ihre Stillzeichen ignoriert werden, und können nicht gut geweckt werden, wenn die Uhr die Stillmahlzeit ansagt. Andere Babys schreien sich in Rage und können deshalb nicht gut an der Brust trinken. Deshalb ist Stillen nach Bedarf essentiell für gelingendes Stillen.

Die Idee, dass Babys in regelmäßigen Zeitabständen gestillt werden müssen, stammt ursprünglich aus dem Mittelalter. Damalige Gelehrten meinten, dass zu häufiges Stillen zu Verdauungsproblemen führe, da sich angeblich große Milchmengen im Magen stauen. Der Gedanke, dass sich frische Milch mit unverdauter Milch im Magen mischt und dadurch Koliken verursacht, stammt von Ettmuller aus dem Jahre 1703 und entbehrt jeglicher Grundlage. Heute wird geschätzt, dass Muttermilch innerhalb von 90 Minuten verdaut wird. Seit der Industrialisierung wurde die Notwendigkeit, den Alltag nach der Uhr zu richten, auf die Säuglingspflege mit ausgedehnt. Außerdem verfestigte sich am Anfang des 20. Jahrhunderts der Gedanke, dass Kinder verzogen werden, wenn man auf ihr Schreien durch Hochnehmen oder Stillen reagiert. Da sich mittlerweile das Gegenteil herausgestellt hat, spricht nichts mehr gegen Stillen nach Bedarf und häufiges Stillen. Das Baby kann immer an die Brust angelegt werden, unabhängig davon, ob es zuletzt vor 10 Minuten, einer Stunde oder längerer Zeit gestillt wurde.

Auch wenn der Stillstart durch fehlende Unterstützung und falsche Informationen erschwert war, kann durch die Umstellung des Stillmanagements häufig erfolgreich gestillt werden. Sehr hilfreich dabei ist, wenn man sich z.B. in einer Stillgruppe oder bei einer Stillberaterin kompetente Unterstützung holt (siehe auch unser Verzeichnis für Unterstützungsangebote).

Quellen:

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  • Round-Tabel Diskussion: Iatrogene Einflüsse auf die Geburt, Wirkungen von Medikamenten auf Mutter und Kind. Kongress Laktation & Stillen. Berlin, 2004.
  • Bergmann N: Kangaroo Mother Care. Vortrag auf dem Kongress Laktation & Stillen. Berlin, 2004.
  • Kent JC, Mitoulas LR, Cregan MD, Ramsay DT, Doherty DA, Hartmann PE: Volume and frequency of breastfeeding and fat content of breast milk throughout the day. Pediatrics 2006;117;e387-e395.

© Dr. Bauer – Publikationen in der Stillförderung. Text, Bilder und Videos sind urheberrechtlich geschützt. Letzte Änderungen: Juni 2022.

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