Wenn der Start der reichlichen Milchbildung auf sich warten lässt – der verspätete „Milcheinschuss“

Manchmal verspätet sich der Milcheinschuss, d.h. der Beginn der reichlichen Milchbildung (Laktogenese II) verzögert sich. Dies hat Einfluss auf die gebildete Milchmenge, möglicherweise muss das neugeborene Baby vorübergehend oder längerfristig zugefüttert werden. Warum sich der Milcheinschuss verzögern kann und wie dies erkannt und behandelt wird, um das Stillen zu erhalten und möglichst Vollstillen zu erreichen.

Inhaltsübersicht:

Physiologischer und verzögerter Start der Laktogenese II

Neugeborene bekommen nach der Geburt das in der Schwangerschaft durch die sog. Laktogenese I gebildete gelbfarbene, dickflüssige Kolostrum, das in vergleichsweise kleinen Mengen vorliegt. In der Regel beginnt die Bildung der weißen und flüssigeren reifen Muttermilch – die Laktogenese II –  zwischen 30 und 48 Stunden nach der Entbindung, die Milchmenge nimmt von Tag zu Tag rapide zu, die Farbe der Milch ändert sich allmählich von Gelb zu Weiß. Viele Frauen nehmen wahr, dass ihre Brüste an Volumen zunehmen, sich voll anfühlen und spannen (umgangsprachlich  „Milcheinschuss“ genannt). Der Milcheinschuss macht sich in der Regel innerhalb von 3–4, spätestens 5 Tagen nach der Geburt bemerkbar, also später als der Beginn der reichlichen Milchbildung. Die Milch fließt reichlicher, der Stuhl des ausschließlich gestillten Babys wird heller, loser und reichlicher, die Anzahl und Schwere der Windeln mit Urin nehmen ebenfalls zu.

Diagramm mit Gewichtsverläufen - das Gewicht des Neugeborenen nimmt in den ersten Tagen nach der Geburt ab und anschließend langsam zu
Bei pünktlichem Milcheinschuss nimmt das Baby ab dem 3. (4.) Tag wieder zu. Anschließend verläuft die Gewichtsentwicklung parallel zu den Perzentilen der WHO-Standards. Das Geburtsgewicht wird innerhalb von 7 bis 10 (ggf. 14) Tagen erreicht. (© still-lexikon.de)

Nach einem leichten Gewichtsverlust in den ersten 2(–3) Tagen von ≤7% (max. 10%) nimmt der ausschließlich gestillte Säugling ab dem 3. (4.) Tag entlang seiner Perzentile wieder zu, innerhalb von 7 bis 10 Tagen erreicht er sein Geburtsgewicht (Manchmal ist es auch in Ordnung, wenn er sein Geburtsgewicht innerhalb von 14 Tagen erreicht, wenn der Gewichtsverlauf nach dem ersten Gewichtsverlust perzentilenparallel anhand der WHO-Standards verläuft, die Ausscheidungen erwartungsgemäß sind, das Stillmanagement angemessen ist und die Beobachtung des Stillens durch Fachpersonen keine Auffälligkeiten ergibt).

Wenn die Bildung reifer Muttermilch erst nach >72 Stunden, also nach 3 Tagen einsetzt, spricht man von verzögerter Laktogenese II – umgangsprachlich auch als verzögerter Milcheinschuss bezeichnet.

Die Häufigkeit der verzögerten Laktogenese II betrug in einer US-Studie 23-44%, d.h. fast ein Viertel bis die Hälfte der Mütter waren betroffen. Für Deutschland fehlen leider Erhebungen zur Häufigkeit.

Ist der Start der reichlichen Milchbildung verzögert, kommt die Milchbildung insgesamt langsamer in Gang. Es besteht auch das Risiko, dass die volle Milchbildung nicht erreicht wird und dass das Stillen vorzeitig beendet wird.

Ist der Start der reichlichen Milchbildung verzögert, kommt diese insgesamt langsamer in Gang. Je später die Laktogenese einsetzt, umso geringer fällt die Milchmenge aus. (Modifiziert nach Yu et al., 2019; © still-lexikon.de)

Symptome der verzögerten Laktogenese II

Der verspätete Beginn der reichlichen Milchbildung zeigt sich durch verschiedene mögliche Symptome:

  • Der Milcheinschuss (Volumenzuwachs, Spannen der Brüste, Start der reichlichen Milchbildung) verspätet sich.
  • Das Baby wird an der Brust nicht satt, es ist unzufrieden und unruhig an der Brust oder im Gegenteil, es ist sehr schläfrig, schlapp, schwer zu wecken.
  • Die Ausscheidungen sind unzureichend, die Konsistenz und die Farbe des Stuhls verändert sich nicht erwartungsgemäß (s. Stuhlgang und Urin eines Neugeborenen).
  • Das Baby verliert mehr als 7% seines Geburtsgewichts, die anschließende perzentilenparallele Gewichtszunahme bleibt aus. (In Ausnahmefällen – z.B. bei umfangreichen Infusionen unter der Geburt – sind auch 10% Gewichtsverlust akzeptabel, wenn die Situation von einer Hebamme oder Stillberaterin im Auge behalten wird und keine weiteren Hinweise auf Stillprobleme vorliegen.)
  • Das Baby kann dehydrieren.
  • Eine verstärkte Gelbsucht (Neugeborenen-Ikterus) kommt mit höherer Wahrscheinlichkeit vor.

Bekannte Risikofaktoren für eine verzögerte Laktogenese II

Unter gewissen Rahmenbedingungen sind mehr Mütter als sonst von einer verspäteten Laktogenese II betroffen. Das heißt nicht, dass sie alle betroffen sein werden, aber es ist wahrscheinlicher als sonst. Folgende Risikofaktoren sind aus der Literatur bekannt:

  • Spätes erstes Stillen (> 2 h) bzw. späte erste Entleerung der Brust (Yu und Mitarbeiterinnen kamen auf 12% zusätzliches Risiko mit jeder Stunde Verspätung bei der ersten Brustentleerung)
  • Unzureichende Stimulierung der Brust in den ersten Tagen aufgrund von zu seltenem oder wenig effektivem Stillen
  • Hypersensitive Erkrankungen (Bluthochdruck) während der Schwangerschaft
  • Präeklampsie („Schwangerschaftsvergiftung“)
  • Insulinabhängiger Diabetes mellitus inklusive Gestationsdiabetes
  • Adipositas bereits vor der Schwangerschaft und eine hohe Gewichtszunahme während der Schwangerschaft
  • Schilddrüsenerkrankungen
  • Frühgeburt und sehr niedriges (< 2,5 kg) Geburtsgewicht (Small for Gestational Age)
  • Kaiserschnitt
  • Sehr lange, komplizierte Geburten

Erstgebärende sind deutlich öfter von einer verspäteten Laktogenese II betroffen als Mehrgebärende. Bei mehrgebärenden Frauen setzt die Bildung der reichlichen Muttermilch generell früher ein. Wahrscheinlich haben Mehrgebärende mehr Prolaktinrezeptoren aus früheren Stillzeiten als Erstgebärende, die Geburt verläuft bei ihnen oft schneller und komplikationsärmer und mithilfe ihrer Erfahrung aus früheren Stillzeiten können sie ihr Baby effektiver stillen.

Weitere mögliche Risikofaktoren wie chronischer Schlafmangel (auch schon während der Schwangerschaft), Depressionen, ein höheres Alter der Mutter und exzessiver Alkoholkonsum während der Schwangerschaft werden ebenfalls diskutiert.

Auf der anderen Seite wird diskutiert, ob einige der bekannten Risikofaktoren wie Kaiserschnitt, komplizierte Geburten, Frühgeburten, Geburten von Babys mit sehr kleinem Geburtsgewicht (Small for Gestational Age) an sich das Risiko einer verzögerten Laktogenese II erhöhen. Möglicherweise entsteht das Risiko in diesen Fällen ganz oder teilweise dadurch, dass das erste Anlegen / die erste Brustentleerung später erfolgt als nach einer unkomplizierten vaginalen Geburt und termingeborenen, normalgewichtigen Neugeborenen.

In vielen Fällen ließe sich der verzögerte Beginn der reichlichen Milchbildung vermeiden oder abmildern, wenn dafür gesorgt wäre, dass das erste Stillen / die erste Brustentleerung innerhalb der ersten 1–2 Stunden nach der Entbindung stattfindet und die Brust anschließend häufig und gründlich durch Stillen bzw. alternativ durch manuelle Gewinnung / Pumpen beidseitig gründlich entleert wird.

In der Interventionsgruppe einer randomisiert-kontrollierten Studie, in welcher dafür gesorgt wurde, dass die Brust zum ersten Mal innerhalb von <1 h nach der Geburt und anschließend 8-12-mal in 24 Stunden (spätestens nach 2-3 Stunden) beidseitig gründlich entleert wurde, setzte die Laktogenese II durchschnittlich früher ein, die Milchmenge stieg schneller an (modifiziert nach Fok et atl., 2019; © still-lexikon.de).

Mögliche Langzeitverläufe

Mithilfe von frühzeitiger Optimierung des Stillmanagements und einer intensiven Saugstimulation an der Brust lässt sich die Milchbildung in vielen Fällen trotz einer gewissen zeitlichen Verzögerung aufbauen, sodass Vollstillen mit der Zeit möglich wird – bei der einen Mutter etwas früher, bei der anderen etwas später (s. Fallbeispiel).

Falls sich Vollstillen nicht erreichen lässt, ist Teilstillen auch langfristig sinnvoll und möglich (s. Fallbeispiel).

Bei mangelnder Unterstützung und einer ungünstigen Umsetzung des Teilstillens bzw. unzureichender Saugstimulation der Brust kann die Milchbildung weiter zurückgehen und schließlich stillen manche Frauen vollständig ab (s. Fallbeispiel).

Schema der möglichen Langzeitverläufe bei verspätetem Milcheinschuss: Bei intensiver Bruststimulation kann die Milchmenge langsam ansteigen und die volle Milchbildung in einigen Fällen erreichen (grün). Wenn die Bruststimulation nicht intensiv genug ist oder längerfristig nicht aufrechterhalten werden kann, nimmt die Milchmenge wieder ab (rot). Bei manchen Frauen gibt es eine Obergrenze an Milchvolumen, das erreicht und bei weiterhin guter Bruststimulation aufrechterhalten werden kann, es muss gleichzeitig langfristig zugefüttert werden (lila).(© still-lexikon.de)

Vorbeugung und Behandlung

Frühes, effektives und häufiges Stillen bzw. – falls Stillen bei einer Trennung oder einem saugunfähigen / saugschwachen Baby nicht möglich – frühe, effektive und häufige doppelseitige Brustentleerungen per Hand und Pumpe in den ersten 3–5 Tagen nach der Geburt wirken einem verzögerten Start der reichlichen Muttermilchproduktion entgegen. Das ist Vorbeugung und Behandlung zugleich.

Wird die effektive und häufige Entleerung der Brust (beidseitig mind. 8–12-mal in 24 Stunden) fortgesetzt, erreichen viele Frauen das Vollstillen / die volle Milchbildung, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Dabei gilt:

⇒ Je gründlicher und je häufiger die Brust entleert wird, umso stärker wird die Milchbildung stimuliert (s. Die Milchmenge steigern).

Auch wenn Vollstillen nicht erreicht wird, hilft das häufige und effektive Stillen / Pumpen das Maximum des Milchbildungspotenzials auszuschöpfen. Zwar lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen, welche Frau das Vollstillen erreichen wird und in welchem Zeitram, aber bei frühzeitigen intensiven Bemühungen zur Milchbildungssteigerung durch häufige und gründliche Entleerung der Brust stehen die Chancen bei vielen Frauen gut. Vor allem in den ersten Tagen und Wochen reagieren die Brustdrüsen gut auf die Stimulation, der Effekt lässt mit der Zeit langsam nach, d.h. die Milchbildungssteigerung verläuft bei gleicher Stimulation langsamer oder kommt zum Stehen.

Zufüttern an der Brust fördert und schützt das Stillen und stellt gleichzeitig die Versorgung des Babys sicher. (© privat)

Solange die Milchbildung den Nahrungsbedarf des Babys nicht deckt, ist Zufütterung erforderlich (s. Teilstillen – Wenn Muttermilch nicht ausreicht). Idealerweise findet die Zufütterung an der Brust statt – am 1./2. Tag der Zufütterung z.B. mithilfe einer Spritze und Schlauch und anschließend, sobald die erforderliche Milchmenge ansteigt, z.B. mithilfe des Brusternährungssets. So wird das Stillen gefördert und geschützt – das Baby lernt, dass die Milch aus der Brust kommt – und die Milchbildung der Mutter wird durch das intensive und lang andauernde Saugen des Babys an der Brust während der Zufütterung stimuliert. Auch Becherfütterung ist eine Option, wenn Zufütterung an der Brust nicht (unmittelbar) umsetzbar ist. Sein Saugbedürfnis sollte das Baby bei einer Zufütterung mit dem Becher vollständig an der Brust decken, um dabei die Milchbildung zu stimulieren und sich an die Brust zu gewöhnen, wobei ohne Milchfluss an der Brust das Saugen nicht so lange und intensiv fortgesetzt wird wie bei einer Zufütterung an der Brust. Bei manchen Mutter-Kind-Paaren kann das Stillen auch trotz Zufütterung mit der Flasche etabliert werden, vor allem, wenn die Mutter vergleichsweise viel Milch bildet und das Saugen an der Brust grundsätzlich effektiv ist. Allerdings ist bei einer Flaschenfütterung das Risiko von Saugproblemen, Brustverweigerung, einem Rückgang der Milchbildung und vorzeitigem Abstillen deutlich erhöht (mehr dazu im Artikel Teilstillen – Wenn Muttermilch nicht ausreicht).

Idealerweise erfolgt die Zufütterung von Anfang an und durchgängig mithilfe alternativer Methoden ohne Flasche. Hat sich die Flasche einmal etabliert, fällt es vielen Frauen schwerer, sich umzustellen.

Betroffene Mütter gehen oft davon aus, dass sie direkt vollstillen werden, sobald sich der Milcheinschuss bei ihnen einstellt, und alle Probleme auf einmal – „morgen oder übermorgen“ – gelöst sein werden. Sie rechnen nicht damit, dass die gebildete Milchmenge deutlich langsamer ansteigt als bei einem pünktlichen Milcheinschuss und auch nur dann, wenn die Brust intensiv stimuliert wird. Manche der betroffenen Mütter versuchen eine Zufütterung um jeden Preis zu vermeiden – und riskieren damit eine Unterernährung ihres Babys –, andere füttern mit der Flasche zu und lehnen die zunächst etwas aufwendigere Zufütterung an der Brust ab – immer in der trügerischen Hoffnung, dass das erfolgreiche Vollstillen unmittelbar bevorsteht. Doch, einen plötzlichen Milchanstieg wird es nicht mehr geben und mit jeder Woche Flaschenfütterung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Baby die Brust ablehnen wird.

Bei einem verzögerten Milcheinschuss lohnt es sich, Zufütterung an der Brust zu etablieren: So wird einer möglichen Ablehnung der Brust vorgebeugt, die Brust wird während der Zufütterung zur Milchbildung stimuliert und der Anstieg der Milchmenge kann in Ruhe abgewartet werden, während die ausreichende Versorgung des Babys mit Milch sichergestellt wird. Hebammen und Stillberaterinnen können dabei engmaschig betreuen und begleiten.

Fallbeispiele für unterschiedliche Verläufe nach verzögertem Milcheinschuss

Fallbeispiel A: Stillen war nicht möglich

Mutter A bekam ihr erstes Baby im Alter von knapp 40 Jahren, d.h. in einem relativ fortgeschrittenen Alter. Zusätzlich war sie von Adipositas betroffen. Die Entbindung fand per Kaiserschnitt statt. Das Neugeborene verbrachte das Wochenbett in einem separaten Babybettchen warm eingepackt mit einem Schnuller im Mund. Angelegt wurde das Baby nur wenige Male am Tag, wenn eine Mitarbeiterin der Wochenstation vorbeikam und half. Das Baby wurde in der Klinik aufgrund unzureichender Ausscheidungen und zu hohem Gewichtsverlust mit Prenahrung zugefüttert. Hierzu wurde eine Flasche verwendet. Auch zu Hause reagierte die Mutter nicht auf die subtilen Stillzeichen ihres Babys, das Baby lag die überwiegende Zeit in seinem Bettchen warm eingepackt und schlief scheinbar die meiste Zeit. Es wurde weiterhin mit der Flasche gefüttert. Die Mutter fing bereits in der Klinik mit Abpumpen an, bekam ein Rezept für eine Doppelpumpe für zu Hause und setzte das Doppelpumpen alle 3–4 Stunden fort. Mithilfe des regelmäßigen Pumpens kam sie in der zweiten Woche nach der Geburt auf täglich 70–90 ml Muttermilch, wobei in der zweiten Woche Babys durchschnittlich >600 ml Muttermilch (480–745 ml) brauchen. Die gewonnene Milchmenge von 70–90 ml Muttermilch am Tag konnte trotz regelmäßigem Pumpen nie überschritten werden. Mit der Zeit stellte die Mutter das Pumpen ein. Das Stillen konnte nie erreicht werden, aber die Mutter stellte ihrem Baby in den ersten Wochen die gewonnene Muttermilch zur Verfügung, denn jeder Tropfen zählt.

In diesem Fall lag eine Reihe von Risikofaktoren für einen verzögerten Beginn der reichlichen Milchbildung vor: Adipositas, Kaiserschnitt, Erstgebärender-Status, hohes Alter, zu seltenes Anlegen des Babys und zu seltene Stimulierung der Milchbildung durch eine Pumpe. Um das Stillen zu etablieren und die Milchbildung zu steigern, hätten ausgiebiger Haut-an-Haut-Kontakt, Bedsharing, Verzicht auf den Schnuller und auf Saugflaschen, Zufütterung an der Brust, häufiges Anlegen des Babys bei den ersten Stillzeichen, ggf. zusätzliche Stimulierung der Brust durch Handentleerung und Pumpen geholfen.

Fallbeispiel B: Langfristiges Teilstillen

Mutter B musste ihr Baby aufgrund von hohem initialen Gewichtverlust von über 10% wenige Tage nach der Geburt zufüttern. Sie bekam in der Klinik eine Flasche zur Zufütterung. Häufiges Pumpen wurde noch in der Klinik initiiert und nach der Entlassung mithilfe einer gemieteten Doppelpumpe, für die die Mutter ein Rezept von ihrer Frauenärztin bekam. Das Kind wurde häufig angelegt, allerdings war das Anlegen sehr schwierig, die Mutter brauchte immer Assistenz dazu, die ihr Mann zum Glück gewährleisten konnte. Die Mutter schaffte es nach wenigen Wochen auf das Brusternährungsset umzusteigen und auf die Flasche zu verzichten. Auch den Schnuller hat sie weggelassen. Im Rahmen der Stillberatung zeigte sich, dass Stillen für dieses Mutter-Kind-Paar in der Hoppe-Reiter-Position am einfachsten war und ohne Assistenz gelang. Durch Zufütterung an der Brust und das Weglassen von künstlichen Saugern konnte das Stillen gefestigt werden, sodass das Baby über ein Jahr gestillt werden konnte. Eine tägliche Zufüttermenge von 200 ml – verteilt auf 3–5 Zufütterungen am Tag mithilfe des Brusternährungssets – musste jedoch langfristig beibehalten werden, bis das Kind nennenswerte Mengen Beikost aß. Eine Frenotomie aufgrund eines vermuteten zu kurzen Zungenbands und Domperidon zur Steigerung der Milchbildung konnten auch nicht zum Vollstillen verhelfen. Anschließend, als das Baby schon größere Mengen Beikost aß, konnte das Stillen noch mehrere Monate ohne Brusternährungsset fortgesetzt werden.

Die genaue Ursache für die verspätete Laktogenese II und die begrenzte Milchbildung war in diesem Fall nicht eindeutig. Möglicherweise war der Stillstart verzögert und es fand keine ausreichende Stimulierung der Brust im Wochenbett statt. Das Baby saugte im Vergleich zum zweitgeborenen Kind der Mutter relativ schwach, was sich auch durch die Frenotomie nicht verbesserte. Als Erstgebärende hatte die Mutter zudem ein erhöhtes Risiko für den verspäteten Beginn der Laktogenese II. Durch die zusätzliche Stimulierung der Brust mit der Pumpe und die Zufütterung an der Brust konnte die Milchbildung jedoch gesteigert und das Stillen erhalten und lange Zeit fortgesetzt werden. Ihr zweites Baby konnte diese Mutter durchgehend vollstillen, sie hatte reichlich Milch. Mehrgebärende, die bereits ein Baby gestillt haben, kommen tendenziell schneller in die Milchbildung und können manchmal auch mehr Milch bilden, weil das Drüsengewebe, das sich in der ersten Stillzeit vermehrt hatte, nach Folgegeburten schnell wieder aktiviert werden kann. Außerdem weiß die Mutter nun um die Bedeutung der frühen, häufigen und gründlichen Entleerung der Brust, auf die sie nach ihrer zweiten Geburt gezielt geachtet hat. Auch die gute Saugkraft des zweitgeborenen Babys hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass die Mutter in die volle Milchbildung kam.

Fallbeispiel C: Vollstillen nach vorübergehender Zufütterung

Mutter C war seit ihrer Kindheit an Diabetes Typ I erkrankt. Ihr Baby wurde am errechneten Entbindungstermin per Kaiserschnitt geholt. Mutter C ließ sich bereits in der Schwangerschaft zum Stillen beraten und auch nach der Geburt engmaschig begleiten. Sie gewann in der Spätschwangerschaft Kolostrum per Hand, um ihr Neugeborenes nach der Geburt unmittelbar füttern zu können, da Neugeborene von Diabetes-erkrankten Müttern zu Unterzuckerung neigen. Somit beherrschte sie die manuelle Kolostrumgewinnung gut und gewann auch nach der Geburt regelmäßig nach dem Stillen Kolostrum, um ihr erhöhtes Risiko für einen verspäteten Milcheinschuss zu reduzieren. Ihr Baby erlitt keine Unterzuckerung, doch ab dem 2. Tag wurde es zunehmend unzufrieden an der Brust und verlor über 10% seines Geburtsgewichts, sodass in der Klinik eine Zufütterung mit Prenahrung eingeleitet wurde. In der Klinik wurde Zufütterung an der Brust mittels Sonde und Spritze unterstützt. Die Mutter verbrachte den Großteil des Tages in direktem Haut-zu-Haut-Kontakt mit ihrem Baby, unterstützt durch ein Bonding-Top. Sie stillte und fütterte ihr Baby häufig an der Brust zu und stimulierte nach jedem Stillen ihre Brust per Hand und Pumpe. Ein Tag nach der Entlassung, am 5./6. Tag nach der Geburt, verspürte die Mutter endlich den heiß ersehnten Milcheinschuss und ließ daraufhin die Zufütterung von Prenahrung abrupt weg. Doch, dann nahm das Baby nicht mehr zu – sein Gewicht stagnierte über 10 Tage –, bis die Mutter sich überreden ließ, die Zufütterung von Prenahrung fortzusetzen, diesmal mit dem Brusternährungsset, das für größere Mengen besser geeignet ist als eine Spritze. Eine zusätzliche Herausforderung waren die anhaltenden Schmerzen beim Stillen, die in der Hoppe-Reiter-Position zwar wesentlich besser waren, aber keine andere Stillposition erlaubten. Es wurde beim Baby ein zu kurzes Zungenband festgestellt und auch unmittelbar getrennt, woraufhin die Schmerzen beim Stillen abnahmen und auch andere Stillpositionen möglich wurden. Die Zufütterung an der Brust während des Stillens musste weiter fortgesetzt werden. Die Mutter ließ sich von ihrer Frauenärztin zusätzlich Domperidon verschreiben, um die Milchbildung auch auf diese Weise zu unterstützen. Um die Milchbildung zu steigern, pumpte die Mutter zunächst nach jedem Stillen bzw. so oft wie möglich zusätzlich ab und fütterte die gewonnene Milch an der Brust zu. Nach einer Weile schlich sie das zusätzliche Pumpen und Zufüttern von Muttermilch aus, weil ihr der Aufwand zu viel wurde. Die Zufüttermenge von Prenahrung schwankte von Tag zu Tag, aber tendenziell nahm sie mit der Zeit ab, bis das Baby nur noch gelegentlich Zufütterung brauchte und schließlich – anderthalb Monate nach der Geburt – auch ohne Zufütterung satt und zufrieden war und perzentilenparallel zunahm. Nach den ersten herausfordernden 6 Wochen konnte das Baby viele Monate ausschließlich gestillt werden und nahm an der Brust prächtig zu. Es kletterte die Perzentilen langsam nach oben und mit 5 Monaten übertraf es seine Geburtsperzentile.

Grafiken für ein Fallbeispiel: Oben Gewichtsverlauf unten Zufüttermengen in den ersten 3 Monaten

Bei Mutter C war wahrscheinlich in erster Linie der Diabetes verantwortlich für den verspäteten Beginn der reichlichen Milchbildung. Der Kaiserschnitt, der Erstgebärenden-Status und das zu kurze Zungenband beim Baby (schmerzhaftes und weniger effektives Saugen) waren weitere Risikofaktoren. Auf der anderen Seite arbeitete die Mutter intensiv an einer guten Milchbildung durch frühe, häufige und effektive Entleerung der Brust, indem sie häufig stillte und ihre Brust zusätzlich per Hand und Doppelpumpe entleerte. Sie praktizierte ausgiebigen Hautkontakt mit ihrem Baby und Zufütterung an der Brust. Die Frenotomie und die Einnahme von Domperidon könnten die Michbildung ebenfalls unterstützt haben. So konnte die Mutter das Vollstillen trotz ihres Diabetes und ihrer weiteren Risikofaktoren nach 6,5 Wochen erreichen. Dieses Fallbeispiel zeigt jedoch auch, dass nach einem verzögerten Start der Laktogenese II der Eintritt des Milcheinschusses nicht bedeutet, dass die Mutter auf einmal vollstillen kann. Eine längere, geduldige Zufütterung kann erforderlich sein, bis die Milchbildung der Mutter für das Vollstillen ausreicht.

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