Stillen und Beikost nach Bedarf: Besteht ein Risiko für Eisenmangelanämie nach 6 Monaten?

älteres Baby an der Brust
Viele Babys, die nach Bedarf gestillt werden, werden auch im zweiten Halbjahr noch überwiegend an der Brust satt. (© Oksana Kuzmina, Fotolia)

Viele Ärzte warnen: Die Eisenreserven von Babys seien mit 4 bis 6 Monaten erschöpft, daher sei die Einführung von eisenreicher Beikost in diesem Alter unerlässlich. Die WHO definiert vollendete 6 Monate als das Alter, wenn eisenreiche Beikost eingeführt werden soll, u.a. um einer Blutarmut aufgrund von Eisenmangel (sog. Eisenmangelanämie) vorzubeugen. Auf der anderen Seite zeigen Babys, die nach Bedarf gestillt werden, oft später als in offiziellen Empfehlungen vorgesehen Interesse an Beikost. Sie essen auch im zweiten Lebenshalbjahr oft nur winzige Mengen und kehren immer wieder zum ausschließlichen Stillen zurück. Viele von ihnen fangen erst Ende des ersten oder gar Anfang des zweiten Lebensjahres an, größere Mengen zu essen. Sind diese Kinder nun gefährdet eine Eisenmangelanämie zu entwickeln? Brauchen sie Eisensupplemente, damit sie gesund bleiben? Oder werden sie durch Muttermilch rundum mit allen Nährstoffen gut versorgt, sodass man ihnen mit dem Essen Zeit lassen kann? Das ist eine der umstrittensten und komplexesten Fragestellungen in der Betreuung stillender Mütter, die auf allen Seiten viel Verunsicherung verursacht und mit erbitterten Grabenkämpfen auch unter Fachleuten einhergeht. Der folgende Artikel versucht in dieser Fragestellung anhand möglichst fundierter Quellen eine gewisse Orientierung zu geben.

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Eisenmangelanämie bei Babys und Kleinkindern: Bedeutung und Häufigkeit

Bedingt durch die einzigartig rapide Wachstumsrate und Gehirnentwicklung ist der Eisenbedarf bei Babys und Kleinkindern so hoch wie nie wieder im Leben (WHO, 2017 S. 18; Dewey 2013). Eisenmangel entwickelt sich laut WHO auch bei ausschließlich gestillten Babys relativ häufig nach den ersten 6 Monaten, wenn die Beikost gut verfügbares Eisen nicht in ausreichenden Mengen enthält (WHO, 2001). Laut WHO helfen ausschließliches Stillen in den ersten sechs Monaten, Weiterstillen bis zum Alter von zwei Jahren und darüber hinaus und optimale, eisenreiche Beikost, um Eisenmangel, Blutarmut aufgrund von Nährstoffmangel und anderen Formen von Mangelernährung zu vermeiden (WHO, 2017, S. 31). Eine verkürzte ausschließliche Stilldauer hingegen erhöht das Infektionsrisiko und kann durch Entzündungen zu einer Anämie führen (Anderson et al, 2017; Muleviciene et al. 2018).

Grafik mit roten Blutkörperchen: gesunde und verkleinerte, blaße Blutkörperchen
Bei einer Eisenmangelanämie ist die Menge von Hämoglobin in den roten Blutkörperchen verringert, welche dadurch kleiner und blasser sind als gesunde rote Blutkörperchen. Die Kapazität des Blutes, Sauerstoff zu den Organen zu transportieren, ist eingeschränkt (© Henrie, Fotolia).

Da die Eisenreserven langsam entleert werden, entwickelt sich Eisenmangel häufig zum Ende des ersten oder während des zweiten Lebensjahres (Male et al., 2007). Bei einem Eisenmangel ohne Anämie sind die Ferritin-Vorräte (also Eisen-Speicher) erschöpft und die Konzentration von Eisen in verschiedenen Körpergeweben ist reduziert (McCann & Ames, 2007). Bei einer Anämie aufgrund von Eisenmangel ist zusätzlich auch die Menge von Hämoglobin in den roten Blutkörperchen verringert, welche dadurch kleiner und blasser sind als gesunde rote Blutkörperchen (so genannte mikrozytische Anämie). Bei niedrigen Hämoglobin-Werten ist die Kapazität des Blutes eingeschränkt, Sauerstoff zu den Organen zu transportieren. (WHO, 2017, S. 6). Zahlreiche Beobachtungsstudien haben eine Assoziation zwischen Eisenmangelanämie und einer verzögerten kognitiven und körperlichen Entwicklung von Kindern aufgezeigt. Eisenmangel verändert Gehirnstruktur und -funktion, welche insbesondere im frühen Kindesalter, wenn die Ausdifferenzierung verschiedener Gehirnregionen stattfindet, irreversible Konsequenzen haben kann, wobei ein kausaler Zusammenhang bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, u.a. weil bei betroffenen Kindern häufig auch andere Faktoren zu einer Entwicklungsverzögerung führen können (McCann & Ames, 2007; WHO, 2017, S. 6).

Eisenmangelanämie kommt in Europa bei weniger als 2% der Babys in den ersten 6 Monaten, bei 2–3% im Alter von 6–9 Monaten und bei 3–9% im Alter von 1–3 Jahren vor. Die Prävalenz von Eisenmangel (ohne Anämie) variiert im Alter von 1–3 Jahren je nach Region zwischen 5 und 20% (Domellöf et al., 2013). Im Gegensatz zu Europa, wo die Häufigkeit von Eisenmangel und Eisenmangelanämie relativ niedrig ist, kann die Eisenmangelanämie in Entwicklungsländern bis zu 50% der einjährigen Kinder betreffen (Dewey & Chaparro, 2007). Dies ist auf die verbreitete Mangelernährung und chronische Infektionskrankheiten der Bevölkerung (wie u.a. Befall mit Malaria, Hakenwürmern und anderen Parasiten) sowie schlechte sanitäre und medizinische Versorgung zurückzuführen. Auch in manchen Regionen Ost- und Südeuropas kann die Prävalenz von Eisenmangelanämie unter Kleinkindern 50% erreichen. Dies wird unter anderem damit erklärt, dass das Trinken von Kuhmilch als Muttermilchersatz im ersten Lebensjahr weit verbreitet ist. Kuhmilch gehört zu den wichtigsten Auslösern von Eisenmangel bei Säuglingen und Kleinkindern (Male et al., 2001; Eussen et al., 2015).

Eisenmangelanämie wird von den Eltern oft nicht erkannt

Studien aus verschiedenen Ländern haben aufgezeigt, dass Eltern die Anzeichen einer Eisenmangelanämie (Blässe, Gereiztheit, Appetitlosigkeit, Schlappheit, Lethargie usw.) bei ihren Kindern meist nicht erkennen, weil diese zu unspezifisch sind (Joo et al, 2016; Tsai et al., 2013; Muleviciene, 2018). So zeigte eine Untersuchung mit 1300 Kleinkindern zwischen 6 und 24 Monaten mit Eisenmangelanämie, dass bei einer moderaten Form lediglich 7% und selbst bei einer schweren Form lediglich 25% der Kinder mit Symptomen auffielen. Bei drei Viertel der betroffenen Kinder mit schwerer Eisenmangelanämie wurde diese erst durch Labordiagnostik entdeckt (Joo et al, 2016).

Blutentnahme beim Kleinkind
Ob eine Eisenmangelanämie vorliegt bzw. ob das Kind Eisensupplemente braucht, lässt sich durch eine Blutuntersuchung beim Kinderarzt feststellen. (© Kadmy, Fotolia)

Auch in den anderen Studien wurde berichtet, dass die Angehörigen eine Eisenmangelanämie bei lange ausschließlich gestillten Kindern meist nicht erkennen. Die Anämie wird oft nur entdeckt, wenn aufmerksame Kinderärzte nach der Ernährung der Kinder fragen und eine Blutuntersuchung veranlassen, wenn diese länger als 6 Monate ausschließlich gestillt werden oder nur wenig essen (Tsai et al., 2013; Muleviciene, 2018). Das heißt, die Abwesenheit von auffallenden Symptomen ist keine Garantie dafür, dass das Kind wirklich mit allen Nährstoffen und vor allem Eisen gut versorgt ist. Im Zweifelsfall kann eine Blutuntersuchung durch den Kinderarzt angebracht sein. Stillen ist dabei die effektivste Methode, Schmerzen bei der Blutentnahme ohne Nebenwirkungen zu lindern (Harrison et al., 2016). Darüber hinaus kann eine schmerzlindernde Salbe vor der Blutentnahme lokal aufgebracht werden. Bei älteren Kindern kann auch Ablenkung z.B. durch Spielen oder Vorlesen hilfreich sein (Birnie et al., 2018).

So wird Eisenmangel diagnostiziert

Sowohl der Eisenmangel als auch die Eisenmangelanämie werden durch Blutuntersuchungen festgestellt. Von einer Anämie (also Blutarmut) spricht man bei Säuglingen und Kleinkindern, wenn der Hämoglobin(Hb)-Wert unter 110 g/l fällt (WHO, 2017). Je niedriger der Hämoglobin-Wert, umso schwerwiegender ist die Anämie.

Definition von Anämie im Alter von 6 bis 59 Monaten nach WHO-Kriterien
Schweregrad Hämoglogin (Hb; g/l)
keine ≥ 110
mild 100–109
moderat 70–99
schwer <70

Anämie kann unterschiedliche Ursachen haben. Eisenmangel ist die häufigste Ursache, aber auch Infektionen und chronische Entzündungen oder ein Mangel an weiteren Nährstoffen wie Vitamin A, B2 (Riboflavin), B6 (Pyridoxin), B12 (Kobalamin), C, D und E, Folsäure und Kupfer können zu einer Anämie führen, auch ohne Eisenmangel (WHO, 2017, S. 2). Infektionskrankheiten können eine Anämie verursachen, indem sie die Aufnahme und die Verarbeitung von Nährstoffen oder die Bildung roter Blutkörperchen beeinträchtigen, oder indem sie einen erhöhten Verlust von Nährstoffen auslösen. Um herauszufinden, ob die Anämie auf einen Eisenmangel zurückzuführen ist, müssen neben dem Hämoglobin weitere Werte bestimmt werden, wie die Konzentration des Serum-Ferritins oder des Serum-Transferrin-Rezeptors. Serum-Ferritin ist ein Maß für die Eisenreserven. In Abwesenheit von Infektionen steigt der Ferritin-Wert bei aufgefüllten Eisenreserven und sinkt bei entleerten Eisenreserven. Konzentrationen von unter 12 µg/l Serum-Ferritin weisen bei Kindern unter 5 Jahren auf leere Eisenspeicher hin.

Eine Eisenmangelanämie wird festgestellt, wenn sowohl der Hb-Wert (< 110 g/l) als auch der Serum-Ferritin-Wert (< 12 µg/l) zu niedrig sind.

Ein niedriger Serum-Ferritin-Wert (< 12 µg/l) ohne Anämie (d.h. der Hb-Wert ist mind. 110 g/l) zeigt einen Eisenmangel ohne Anämie an. Dieser hat keine, oder nur minimale, nicht messbare gesundheitliche Auswirkungen, stellt aber ein Risiko für eine Eisenmangelanämie dar (McCann & Ames, 2007).

Bei Vorliegen von Infektionen ist der Ferritin-Wert für die Bestimmung des Eisenmangels allerdings unzuverlässig, da die Ferritin-Konzentration als Reaktion auf Infektionen und/oder Entzündungen ansteigt. Im Falle von Entzündungen/Infektionen wird mit der Diagnostik daher entweder abgewartet, bis das Kind wieder gesund ist, oder es werden weitere Werte bestimmt (z.B. das C-reaktive Protein (CRP) bei akuten und das Alpha-1-Säure-Glykoprotein (AGP) bei chronischen Erkrankungen). Die Bestimmung der Eisenwerte bleibt in Anwesenheit von Infektionen und/oder Entzündungen jedoch etwas unzuverlässig (WHO, 2017, S. 9).

Kinderhand in der Mutterhand
In armen Ländern, wo Labordiagnostik fehlt, wird die Farbe der Handfläche zur Diagnostik einer Anämie herangezogen. Eine auffällig blaße Handfläche kann ein Hinweis auf Blutarmut darstellen. Diese Diagnostikform ist allerdings unzuverlässig und wird in entwickelten Ländern nicht eingesetzt. (© hean, Fotolia)

In unterentwickelten Regionen der Welt, wo Labordiagnostik nicht möglich ist, wird bei Kindern die Blässe der Handflächen (palmar pallor) zur Diagnose einer Anämie herangezogen. Allerdings ist die Sensitivität und die Spezifität dieser Diagnoseform vergleichsweise gering: In Bevölkerungsgruppen, in denen die Prävalenz von schwerer Anämie weniger als 10% beträgt (wie in Europa), beträgt die Sensitivität der Handflächenblässe für eine Anämie lediglich 60–80% und die Spezifität 92–94% (WHO, 2017, S. 10). Daher wird diese Methode zur Bestimmung von Blutarmut in Europa nicht herangezogen.

Wie lange kann ausschließliches Stillen ohne Eisenmangelanämie beibehalten werden?

Die zentrale Frage, die Eltern und Stillberaterinnen beschäftigt, ist, ob Babys Schaden nehmen können, wenn das ausschließliche Stillen „zu lange“ beibehalten wird. Der folgende Abschnitt soll einen Versuch darstellen, diese Frage zu beantworten.

Der Eisengehalt von Muttermilch ist vergleichsweise gering

Muttermilch enthält vergleichsweise wenig Eisen, und zwar unabhängig davon, wie sich die Mutter ernährt, wie ihr eigener Eisenstatus ist, ob sie selber einen Eisenmangel hat oder Eisensupplemente nimmt (Griffin & Adams, 2001). Das muss nicht als Mangel aufgefasst werden: Der geringe Eisengehalt der Muttermilch stellte in der frühen Menschheitsgeschichte keinen Nachteil dar, sondern war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sinnvolle Entwicklung. Im Vergleich zu den modernen Gesellschaften, deren Ernährung auf Getreide basiert und relativ eisenarm ist, haben sich unsere Vorfahren als Jäger und Sammler deutlich eisenreicher ernährt. Eine lange, mehrjährige Stillzeit neben eisenreicher Beikost war in der vorgeschichtlichen Zeit wahrscheinlich die typische Ernährungsform von kleinen Kindern. Ein hoher Eisengehalt war für die Muttermilch nicht erforderlich.

Buschfrauen in der Savanna mit Baby im Tuch
Zu Zeiten unserer Jäger-und-Sammler-Vorfahren gab es wahrscheinlich durch die späte Abnabelung und sehr eisenreiche Beikost keine Eisenlücke im Kleinkindalter. Ein hoher Eisengehalt von Muttermilch war nicht erforderlich. (© Franco Lucato, Fotolia)

Genauso wie prähistorische Babys genug Vitamin D durch Sonnenlicht bilden konnten, deckten sie ihren Eisenbedarf aus ihren angeborenen Eisenreserven und später durch die sehr eisenreiche Beikost. Deshalb ist Muttermilch an Eisen vergleichsweise arm – genauso wie es an Vitamin D arm ist. In der modernen Welt unterliegen Babys und Kleinkinder aufgrund des überwiegenden Aufenthalts in Innenräumen einem hohen Risiko für Vitamin-D-Mangel. Auf ähnliche Weise ist Eisenmangel im Kleinkindalter erst durch die Änderung der Ernährungsweise zur getreidebasierten Diät in den letzten 10.000 Jahren und die frühe Abnabelung in der modernen Geburtshilfe ein weltweites Problem geworden (Palmer, 2011; Dewey, 2013). Das heißt, nicht die Muttermilch ist „defizitär“, sondern die veränderten Lebensumstände der Menschheit haben dazu geführt, dass manche lange ausschließlich oder überwiegend gestillte Babys und Kleinkinder einen Nährstoffmangel entwickeln.

Den höchsten Eisengehalt hat Muttermilch in der Form der so genannten Übergangsmilch, die in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt auf Kolostrum folgt. Diese enthält schätzungsweise 0,97 mg Eisen pro Liter Muttermilch. Anschließend nimmt der Eisengehalt der Muttermilch stetig ab. Im Alter von 5 Monaten liegt der Eisengehalt bei ca. 0,3 mg/l (Griffin & Adams, 2001). Es wird geschätzt, dass 12 bis 56% des Eisens aus der Muttermilch vom Baby verwertet werden können (WHO, 2017, S. 31). Sind die Eisenspeicher voll, wird wenig Eisen aus der Muttermilch und der Beikost absorbiert. Bei leeren Eisenspeichern wird die Eisenabsorption hochreguliert. Auch Beikost vermindert die Absorption von Eisen aus der Muttermilch, wenn diese etwa gleichzeitig gegeben wird. Auf der anderen Seite verbessert Muttermilch die Eisenaufnahme aus der Beikost (Griffin & Adams, 2001).

Egal, wie gut das vorhandene Eisen aus der Muttermilch verwertet wird, reicht es als einzige Eisenquelle langfristig nicht aus. Laut Schätzungen der WHO muss bei einem 9 bis 11 Monate alten Baby etwa 97% des Eisens aus Beikost stammen (WHO, 2017, S. 32).

Berechnungen, Beobachtungsstudien, offizielle Empfehlungen zur Dauer des ausschließlichen Stillens

Die Dauer, wie lange ausschließliches Stillen ohne Eisenmangel beibehalten werden kann, wird von Wissenschaftlern durch theoretische Berechnungen und Beobachtungstudien ermittelt, aus denen medizinische Leitlinien ihre Empfehlungen ableiten. Leider liefern sowohl die Berechnungen als auch die Studien nur grobe Schätzungen und keine exakte Antwort, sodass medizinische Fachgesellschaften zwar einen ähnlichen Konsens erreichen, sich im Detail jedoch widersprechen.

Theoretische Berechnungen berücksichtigen eine Reihe von Annahmen für verschiedene Werte (Blutvolumen und dessen Eisengehalt, Körpergewicht und Eisengehalt des Körpergewebes, Eisenspeicher bei der Geburt, Vermehrung des Körpergewichts und des Blutvolumens im Laufe des Wachstums sowie Gehalt und Bioverfügbarkeit des Eisens in der Muttermilch – ausführliche Darstellung der Berechnungen siehe Griffin & Adams, 2001 und Domellöf et al., 2014). Je nachdem, welche Werte z.B. für den Eisenspeicher bei der Geburt und die Aufnahme von Eisen aus der Muttermilch zugrunde gelegt werden, ergeben sich unterschiedliche Resultate. Die „strengsten“ Berechnungen kommen auf 4–6 Monate, die „großzügigsten“ auf 12 Monate. Um keine Anämie zu riskieren, werden in allen offiziellen Empfehlungen – auch der WHO und der Academy of Breastfeeding Medicine – die strengeren Werte zugrunde gelegt (WHO, 2017, S. 31; Taylor, 2018).

Beobachtungsstudien erfassen die Prävalenz (Häufigkeit) von Eisenmangel und Eisenmangelanämie in Abhängigkeit von der Stilldauer in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die wissenschaftliche Diskussion konzentriert sich aktuell auf die Fragestellung, ob es ausreicht, wenn Babys erst im Alter von 6 Monaten eisenreiche Beikost erhalten oder ob sie bereits früher, ab dem vollendeten 4. Monat eisenreiche Beikost brauchen. Die WHO empfiehlt auf der Basis einer systematischen Übersichtsarbeit (Kramer & Kakuma, 2012) ausschließliches Stillen für 6 Monate, da anhand der vorhandenen Daten ausschließliches Stillen in den ersten 6 Monaten kein Risiko für verzögertes Wachstum und Entwicklung darstellt, das Risiko für Magen-Darm- und Atemwegs-Infektionen jedoch signifikant reduziert. Auch für den Eisenstatus stellte 6 Monate ausschließliches Stillen anhand der Daten vorhandener Studien keine Nachteile dar, mit Ausnahme von Entwicklungsländern mit hohem Anteil unterernährter Mütter, bei denen viele Säuglinge mit verminderten Eisenreserven auf die Welt kommen und daher vor dem vollendeten 6. Lebensmonat Eisensupplemente brauchen. In der Analyse von Kramer & Kakuma wurde auch die Fragestellung untersucht, welche Effekte ausschließliches Stillen länger als 6 Monate hat. Es gab zu dieser Fragestellung nur wenige Studien, die darüber hinaus wenig aussagekräftig und in sich widersprüchlich waren. Kramer und Kakuma fassten zusammen, dass die Daten völlig unzureichend sind, um eine Schlussfolgerung aus ihnen ableiten zu können (Kramer & Kakuma, 2012, S. 13). Die Ernährungskommission der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (European Society for Paediatric Gastroneterology, Hepatology and Nutrition, ESPGHAN) interpretiert die wenigen vorhandenen Studien so, dass eine ausschließliche Stilldauer über 6 Monate mit einem erhöhten Risiko von Eisenmangel und Eisenmangelanämie assoziiert ist und rät daher davon ab, die Einführung von Beikost länger als 6 Monate hinauszuzögern (Fewtrell et al., 2017). Es wird auch diskutiert, ob Babys, die nach dem 6. Monat keine ausreichenden Mengen eisenreicher Beikost verzehren, Eisensupplemente erhalten sollen (Domellöf et al., 2014, S. 126).

wissenschaftliches Meeting: Leute sitzen um einen Tisch herum
Auch die medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften streiten sich über die empfehlenswerte Dauer des ausschließlichen Stillens. Die WHO empfiehlt 6 Monate und anschließend die Einführung von eisenreicher Beikost. (© aerogondo, Fotolia)

Aufgrund der Befürchtung, dass zu lange ausschließlich gestillte Babys eine Eisenmangelanämie entwickeln könnten, empfiehlt die Ernährungskommission der Amerikanischen Pädiatrischen Akademie (American Academy of Pediatrics (AAP)) seit 2010, dass alle Babys, die länger als 4 Monate ausschließlich gestillt werden oder ihre Nahrung zu mehr als der Hälfte aus Muttermilch decken, Eisensupplemente erhalten, bis ihr Eisenbedarf durch Beikost ausreichend gedeckt wird (Baker & Greer, 2010). Von dieser Empfehlung distanziert sich allerdings die Stillkommission der AAP (AAP Section on Breastfeeding, 2011) und die Ernährungskommission der ESPGHAN (Fewtrell et al., 2017) mit der Begründung, dass die große Mehrheit von US-amerikanischen Babys mit normalem Geburtsgewicht (> 2500 g), die 6 Monate lang ausschließlich gestillt werden, keinen Eisenmangel aufweist und dass die Supplementierung mit Eisen auch unerwünschte Effekte haben kann. So hat eine randomisiert-kontrollierte Studie aus Schweden ergeben, dass Babys, die 6 Monate ausschließlich gestillt wurden und ab 4 bzw. 6 Monaten Eisensupplemente erhielten, im Vergleich zu Babys, die mit Placebo supplementiert wurden, ein verringertes Längen- und Kopfwachstum und ein erhöhtes Risiko von Durchfällen aufwiesen, ohne dass die Prävalenz von Eisenmangelanämie, die in dieser Population ohnehin sehr gering war, reduziert worden wäre (Dewey et al. 2002). ESPGHAN empfiehlt deshalb, dass nur diejenigen Babys Eisensupplemente erhalten, die nachgewiesenermaßen eine Eisenmangelanämie aufweisen oder einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe angehören, in der die Prävalenz einer Eisenmangelanämie hoch ist (was in deutschsprachigen Ländern nicht der Fall ist) und die gleichzeitig keine eisenhaltige Beikost erhalten (Domellöf et al., 2014, S. 126).

Auch wenn ausschließliches Stillen länger als 6 Monate mit einem erhöhten Risiko für Eisenmangel verbunden ist, gibt es jedoch auch dokumentierte Fallbeispiele von Kindern, die zwischen 8 und 18 Monaten ausschließlich gestillt wurden und trotzdem über normale Hämoglobin- und Ferritin-Werte verfügten (McMillan et al, 1995). Ein erhöhtes Risiko bedeutet noch lange nicht, dass alle Kinder, die länger als 6 Monate lang ausschließlich gestillt werden, automatisch einen Eisenmangel entwickeln, sondern dass mit zunehmender Dauer ausschließlichen Stillens das Risiko zunimmt bzw. immer mehr Kinder von einer Anämie betroffen sind. Leider existieren keinerlei systematische Datenerhebungen aus deutschsprachigen Ländern, welche über die Häufigkeit von Eisenmangel und Eisenmangelanämie bei länger ausschließlich gestillten Kindern Aufschluss geben könnten. Hier besteht noch Forschungsbedarf. Man kennt aber Faktoren, welche den Eisenspeicher beeinflussen und somit darüber entscheiden, wie lange Babys ohne weitere Eisenzufuhr ausschließlich gestillt werden können.

Die Eisenreserven sind bei jedem Baby unterschiedlich aufgefüllt

Der Eisenspeicher ist die wichtigste Quelle für Eisen in den ersten 6 bis 12 Monaten. Je stärker der Eisenspeicher aufgefüllt ist, umso länger kann das ausschließliche Stillen ohne Eisenmangel fortgesetzt werden.

Wie gut der Eisenspeicher gefüllt ist, hängt von mehreren Faktoren ab:

Neugeborenes auf Waage
Kinder, die mit einem Geburtsgewicht unter 2500 g auf die Welt gekommen sind, haben verminderte Eisenreserven und brauchen schon früh Eisensupplemente. (© Irina Schmidt, Fotolia)
  • Das Geburtsgewicht: In Deutschland kommen an die 7% aller Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 2.500 g auf die Welt (Statistisches Bundesamt, 2004). Babys mit einem niedrigen Geburtsgewicht haben einen verminderten Eisenspeicher. Zudem wachsen sie meistens schneller als andere Babys. Daher haben sie einen erhöhten Eisenbedarf bereits in den ersten 6 Monaten (WHO, 2017, S. 15; Domellöf et al., 2014). Dies trifft sowohl auf Babys zu, die zu früh geboren wurden, als auch auf Babys, die für ihr Gestationsalter zu klein sind (Small-for-Gestational-Age, SGA). Die Ernährungskommission der ESPGHAN empfiehlt (Domellöf et al., 2014), Säuglingen mit geringfügig verringertem Geburtsgewicht (2000–2500 g) ab der 2. bis 6. Lebenswoche bis zur Einführung von eisenreicher Beikost mit 6 Monaten eine tägliche Eisensupplementierung von 1–2 mg / kg Körpergewicht zu geben. Unter einem Geburtsgewicht von 2000 g sollte eine Supplementierung von 2 bis 3 mg Eisen pro Körpergewicht erfolgen – jeweils in Absprache mit der betreuenden Klinik.
  • Der Eisenstatus der schwangeren Frau: Hat eine schwangere Frau eine schwere Anämie, kann das Ungeborene keinen ausreichenden Eisenspeicher anlegen (Taylor, 2018). Meistens zeigen Neugeborene schwer anämischer Mütter eine intrauterine Wachstumsverzögerung und können daher in die vorige Gruppe eingeordnet werden (Small-for-Gestational-Age, SGA). Eine schwere Anämie ist aufgrund der guten medizinischen Versorgung und engmaschigen Betreuung der Frauen während der Schwangerschaft in Europa eine absolute Ausnahme. Sie ist in sehr armen Ländern verbreitet, in denen viele Frauen unter- und mangelernährt sind. Eine leichte bis mittelschwere Anämie der schwangeren Frau hat keine Auswirkungen auf den Eisenspeicher des Neugeborenen. Daher kann eine Eisensupplementierung von schwangeren Frauen den Eisenspeicher von Neugeborenen in Europa nicht verbessern (Domellöf et al., 2014).
  • Infektionskrankheiten: Chronische oder wiederkehrende akute Infektionen und Entzündungen können den Eisenspeicher ebenfalls aufbrauchen (siehe oben; WHO, 2017, S. 14).
    Baby am Bauch der Mutter nach Geburt
    Kann die Nabelschnur auspulsieren, wird aus der Plazenta noch Blut auf das Neugeborene übertragen. Dadurch erhält das Baby einen gut gefüllten Eisenspeicher. (© Andrei, Fotolia)
  • Zeitpunkt der Abnabelung: Einen zentralen Einfluss auf die Eisenreserven hat der Zeitpunkt der Abnabelung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich in den Geburtskliniken der westlichen Länder die unmittelbare Durchtrennung der Nabelschnur nach der Entbindung (innerhalb 15 Sekunden) verbreitet – ohne stichhaltige wissenschaftliche Grundlage (Cernadas, 2017). Bei der unmittelbaren Durchtrennung der Nabelschnur erhält ein termingeborenes Baby mit normalem Geburtsgewicht 75 mg Eisen pro Kilogramm Körpergewicht. Lässt man die Nabelschnur auspulsieren und auf diese Weise das Blut aus der Plazenta auf das Baby übertragen, erhält das Baby bereits nach einer Minute weitere 40 mg und nach 3 Minuten zusätzlich 10 mg Eisen, also insgesamt 50 mg mehr Eisen pro Kilogramm Körpergewicht als bei unmittelbarer Abnabelung, d.h. der Eisenspeicher füllt sich auf 115–125 mg pro kg Körpergewicht auf. Dieser gut gefüllte Eisenspeicher ist auf alle Fälle ausreichend für die ersten 6 Monate und wahrscheinlich bis zum 1. Geburtstag und darüber hinaus (Cernadas, 2017). Dewey schätzt, dass bei einem normalen Geburtsgewicht und später Abnabelung die Eisenreserven des Kindes in Kombination mit dem Eisen aus der Muttermilch > 8 Monate ausreichen, auch wenn das Kind noch ausschließlich gestillt wird (Dewey, 2013).
    Grafik
    Aus der Plazenta übertragene Eisenmenge je nach Zeitpunkt der Abnabelung: Spät abgenabelte Babys erhalten bis zu 50 mg Eisen / kg Körpergewicht mehr als unmittelbar abgenabelte Babys. [modifiziert nach Cernadas, 2017; © still-lexikon.de]
    Das heißt, unter normalen, von der Natur vorgesehenen Rahmenbedingungen reicht der Eisenspeicher eines Babys bequem aus, bis es von sich aus bereit ist, nennenswerte Mengen Beikost zu essen. Es sind u.a. irrtümliche, nicht evidenzbasierte Routinen der modernen Geburtshilfe, die in vielen Fällen zu einer Eisenmangelanämie bei Säuglingen und kleinen Kindern führen und Eltern unter Druck setzen, ihr Kind zu füttern, auch wenn es dazu noch nicht bereit ist. Leider gibt es keine Anhaltspunkte, wie verbreitet die frühe bzw. späte Abnabelung in Deutschland ist. Es sind zu dieser Fragestellung bislang keine Erhebungen durchgeführt worden – hier besteht noch Forschungsbedarf. In 14 anderen europäischen Ländern wurden im Jahr 2003 an alle Geburtskliniken Fragebögen zu dieser Fragestellung versendet. Die Befragung ergab, dass die Abnabelungsroutinen von Staat zu Staat und auch innerhalb eines Staates stark variierten. In Österreich haben 30% aller Geburtskliniken den Fragebogen ausgefüllt. Von diesen haben 70% die Nabelschnur erst spät durchtrennt, nachdem sie auspulsiert war. In der Schweiz hat die Hälfte aller Geburtskliniken den Fragebogen ausgefüllt. Von diesen haben 69% die Nabelschnur früh, unmittelbar nach der Geburt durchtrennt (Winter et al. 2007). Diese Erhebung liegt nun 15 Jahre zurück, die Praxis kann sich seitdem geändert haben.
  • Art der Entbindung – vaginale Geburt oder Kaiserschnitt: Bei einem Kaiserschnitt wird aus der Plazenta aus verschiedenen Gründen tendenziell weniger Blut und somit Eisen auf das Neugeborene übertragen als bei einer vaginalen Geburt. Somit haben Kaiserschnitt-Babys tendenziell geringere Eisenreserven – und zwar bei einem Neugeborenen mit einem Durchschnittsgewicht von 3,3 kg 3 bis 7 mg Eisen weniger – als vaginal geborene Babys (Zhou et al., 2014). Das sind jedoch globale Werte: Es kommt in erster Linie auf die Entbindung im konkreten Einzelfall an. Denn eine späte Abnabelung ist nicht nur bei vaginaler Entbindung, sondern auch bei einem elektiven Kaiserschnitt möglich. Wird die Nabelschnur erst 30 Sekunden nach einem elektiven Kaiserschnitt durchtrennt, erhält das Neugeborene möglicherweise ähnlich viel Blut und somit Eisen übertragen wie nach 180 Sekunden einer vaginalen Geburt (Anderson et al., 2016). So kann ein spät abgenabeltes Kaiserschnitt-Baby über bessere Eisenreserven verfügen als ein früh abgenabeltes vaginal geborenes Baby.

Folgende Tabelle fasst die Erkenntnisse des letzten Abschnitts zusammen und gibt einen Überblick über den Eisenspeicher und die Eisenversorgung je nach Geburtsgewicht und Abnabelung:

Eisenversorgung bei gestillten Babys

Geburtsgewicht: weniger als 2.500 g
Abnabelung:
Eisenspeicher: vermindert [1]
Maßnahme: Eisensupplementierung bald nach der Geburt nach ärztlicher Absprache [1]
Geburtsgewicht: mehr als 2.500 g
Abnabelung: früh (unmittelbar)
Eisenspeicher: ausreichend für ± 6 Monate [2]
Maßnahme: Einführung eisenreicher Beikost etwa mit einem halben Jahr [2]. Zeigt das Kind lange kein Interesse, eine mögliche Supplementierung ggf. beim Kinderarzt abklären.
Geburtsgewicht: mehr als 2.500 g
Abnabelung: spät (nach 3 Minuten)
Eisenspeicher: Ausreichend bis > 8 Monate, mitunter 12 Monate und länger [3]
Maßnahme: Eisenreiche Beikost, sobald das Kind reif ist und Interesse am Essen zeigt.

(Quellen: [1] Domellöf et al., 2014 [2] Domellöf et al., 2014, Kramer & Kakuma 2012 [3] Cernadas, 2017; Dewey, 2013. Anmerkung: Bei dieser Tabelle handelt es sich um ein vereinfachtes Modell, welches nicht alle Einflussfaktoren berücksichtigt; © still-lexikon.de)

Auswahl von Beikost zur Vorbeugung von Eisenmangelanämie

Die besondere Herausforderung bei Babys im zweiten Lebenshalbjahr ist, dass sie in der Regel nur sehr geringe Mengen essen, vor allem Babys, die – im Einklang mit den WHO-Empfehlungen – auch nach der Einführung von Bekost nach Bedarf gestillt werden und ihr Saugbedürfnis an der Brust stillen. Dabei ist Eisen der Nährstoff, dessen Zufuhr im Beikostalter am schwierigsten zu gewährleisten ist. Neben Eisen ist vor allem Zink sehr limitiert. Die beiden Mineralstoffe kommen in Lebensmitteln jedoch fast immer zusammen vor, sodass es ausreicht, auf die Zufuhr von Eisen zu achten (Dewey, 2013).

Die meisten europäischen Länder empfehlen für Kinder zwischen 6 und 36 Monaten die Aufnahme von 7 bis 8 mg Eisen pro Tag (empfohlene Tagesdosis). Diese Empfehlung ist so berechnet, dass der Bedarf von 97,5% aller Säuglinge dadurch gedeckt ist (Eussen et al., 2015). Das heißt, 2,5% der Kinder haben einen höheren Bedarf, die allermeisten anderen Kinder brauchen aber weniger als diese Eisenmenge, um sich gut zu entwickeln. In Deutschland nehmen Kinder dieses Alters laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung durchschnittlich 6,1 mg Eisen pro Tag auf (DGE, 2008). Dennoch ist die Häufigkeit einer Eisenmangelanämie sehr gering, in Deutschland unter 3% (Eussen et al., 2015). Daher wird die Sinnhaftigkeit der aktuell empfohlenen Tagesdosis für die Eisenaufnahme von Babys und Kleinkindern (7 bis 8 mg) von den Fachgesellschaften noch weiter diskutiert (Eussen et al., 2015). Dennoch bleibt die Notwendigkeit, Babys und Kleinkindern Beikost mit gut verfügbarem Eisen anzubieten, weiterhin erhalten.

Wie kommt es, dass der Eisenbedarf im Beikostalter so schwer zu decken ist?

Getreidebrei ist heute in zahlreichen Kulturen weltweit die traditionelle erste Beikost von Babys. Getreide ist jedoch arm an Nährstoffen und ein schlechter Eisenlieferant, weil es einen niedrigen Eisengehalt hat und weil das enthaltene Eisen aufgrund hoher Mengen an Eiseninhibitoren wie Phytinsäure oder Phenolverbindungen eine geringe Bioverfügbarkeit hat (Krebs, 2000; WHO, 2017, S. 14 und 32). Die übliche Zugabe von Kuhmilch zum Getreide hemmt die Aufnahme von Eisen zusätzlich und kann über intestinale Blutungen zu Eisenverlusten führen (Eussen, 2015; WHO, 2017, S. 31). Es ist davon auszugehen, dass die weltweite Verbreitung von Eisenmangel unter kleinen Kindern der heutigen Ernährungsweise zuzuschreiben ist (siehe oben).

Schüssel mit Getreidebrei
Getreidebrei ist die typische erste Beikost in vielen Kulturen. Er ist meist arm an Nährstoffen und eine schlechte Quelle für Eisen. Die beigemische Kuhmilch erschwert die Eisenaufnahme zusätzlich. Wird Getreide angeboten, dann sollten Eisen-reiche Sorten gewählt, diese mit Wasser angerührt und Vitamin-C-reichem Obst oder Gemüse gereicht werden, um die Eisenaufnahme zu verbessern. (© Heike Rau, Fotolia)

Vor der neolithischen Revolution, d.h. der Änderung der Lebensweise von Jäger und Sammler zur Sesshaftigkeit mit Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren war die Nährstoffdichte in der menschlichen Nahrung deutlich höher als heute. Die Menschen haben sich deutlich vielfältiger ernährt, mit einem hohen Anteil tierischer Nahrung und wilden Pflanzen. Sie konsumierten Wild, Fisch, kleine Säugetiere, Schalentiere und Insekten, welche ideale Eisenquellen darstellen (Palmer, 2011). Es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte der Energiezufuhr aus Nahrung tierischen Ursprungs (ohne Milch und Milchprodukte) stammte. Zudem verzehrten die früheren Menschen eine große Vielfalt an wilden Pflanzen wie Blätter, Blüten, Wurzeln, Knollen, Nüsse, Samen, Beeren und andere Früchte. Getreide wurde nur in geringen Mengen konsumiert. Infolge der neolithischen Revolution wurde Getreide wie Weizen, Reis und Mais die Basis der Ernährung und lieferte den Großteil der Energiezufuhr. Die Menschen ernährten sich einseitiger und nährstoffarmer. Die Verschlechterung des Ernährungsstatus machte sich auch dadurch bemerkbar, dass die Menschen einen niedrigeren Wuchs hatten als ihre Jäger- und Sammler-Vorfahren. In allen frühen landwirtschaftlichen Kulturen war Nährstoffmangel und insbesondere Eisenmangelanämie weit verbreitet. Aufgrund der erhöhten Populationsdichte wurden die Menschen zusätzlich auch von häufigen Infektionskrankheiten geplagt, was ihren Ernährungsstatus weiter verschlechterte (Dewey, 2013).

Säuglinge und Kleinkinder sind von dem niedrigen Nährstoffgehalt einer Getreide-basierten Beikost besonders betroffen, weil ihr Nährstoffbedarf besonders hoch und für ihre gesunde Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist (Dewey, 2013). In vielen unterentwickelten landwirtschaftlichen Kulturen der Welt machen sich nach dem 6. Lebensmonat aufgrund des schlechten Ernährungsstatus und Krankheiten Wachstumsrückstände bemerkbar. In Entwicklungsländern ist das heute immer noch weit verbreitet. Knochenanalysen aus prähistorischen Zeiten zeigten jedoch ein stetiges Wachstum und keinen Nährstoffmangel. Beim Übergang vom Stillen zur Erwachsenenkost traten vor der neolithischen Revolution keine Probleme auf (Palmer, 2011).

Auch wenn Babys und Kleinkinder noch nicht in der Lage waren, die Kost vorgeschichtlicher Menschen selbstständig zu verzehren, wurde ihnen diese von ihren Angehörigen – überwiegend von ihren Müttern – vorgekaut (Dewey, 2013). Die Fütterung mit vorgekauter Nahrung (Premastication) war neben dem Stillen wahrscheinlich der zweite Arm der Säuglingsernährung in Jäger- und Sammler-Gesellschaften. Das Vorkauen ermöglichte es, dass Säuglinge und kleine Kinder dieselbe Nahrung verzehrten wie die Erwachsenen und auf diese Weise mit allen Nährstoffen inklusive Eisen gut versorgt waren. Der Speichel der Mutter könnte außerdem einen ähnlichen gesundheitsfördernden Effekt wie Muttermilch gehabt haben (Dewey, 2013). Aufgrund der deutlich erhöhten Populationsdichte könnte der Speichelkontakt in landwirtschaftlichen Kulturen allerdings über die Verbreitung von Infektionskrankheiten zur Säuglings- und Kleinkindsterblichkeit beigetragen haben und kam mit der Zeit aus der Mode (Auch heute gilt die mögliche Übertragung von Infektionskrankheiten als wichtigstes Argument gegen Speichelkontakt zwischen Eltern und Kind). In den 1940-er und 1950-er Jahren führte das Verbot der Fütterung mit vorgekauter Nahrung unter den amerikanischen Ureinwohnern und auf den Fiji-Inseln durch westliche Ärzte und Missionare allerdings zu einer schweren Eisenmangelanämie und Fehlernährung bei den Kindern (Pijoan & Elkin, 1944). Dieses Beispiel zeigt die zentrale Bedeutung der „Premastication“ für die Deckung des Eisenbedarfs in traditionellen Kulturen.

Mutter füttert ihr Kleinkind mund zu Mund
Fütterung vorgekauter Nahrung (Mund-zu-Mund oder Mund-Hand-zu-Mund) versorgte Babys und Kleinkinder auch in der frühen Menschheitsgeschichte mit Nährstoff- und eisenreicher Erwachsenenkost.

Zhang (2007) untersuchte die Bedeutung der Fütterung mit vorgekauter Nahrung in existierenden und vergangenen Kulturen durch ethnografische Recherchen. Das mediane Alter, in dem Babys zum ersten Mal vorgekaute „Beikost“ erhielten, lag bei 6 Monaten, in dem Alter also, in dem die Beikostreife auch nach heutigem Kenntnisstand einsetzt. Die !Kung z.B. kauten ihren Kindern u.a. Fleisch, Wurzeln und Nüsse vor. In China des letzten Jahrhunderts enthielt die vorgekaute Nahrung u.a. Fleisch, Nüsse, Gemüse, Getreide und Eier. Laut Zhang wurde den Babys am häufigsten Fleisch vorgekaut, am zweithäufigsten Fisch. Auf diese Weise wurde die Versorgung der Kinder mit Eisen sichergestellt. Manche Kulturen verabreichten die vorgekaute Nahrung von Mund zu Mund, andere spuckten diese in ihre Hände und fütterten ihr Baby per Hand. Die Kinder wurden neben dem Stillen mehrere Jahre lang auf diese Weise zugefüttert (Zhang, 2007). Selbstverständlich haben die Kinder sicherlich zunehmend eigenständig gegessen, indem sie Nahrung selbst mit Hand in den Mund steckten.

Zusammensetzung der Beikost, um den Eisenbedarf zu decken

Laut WHO kann der Eisenbedarf bei Babys und kleinen Kindern, die in aller Regel nur sehr kleine Mengen essen und gleichzeitig einen besonders hohen Eisenbedarf haben, nur durch den Verzehr von tierischer Nahrung oder durch künstlich mit Eisen angereichertes Babygetreide gedeckt werden (WHO, 2017, S. 29). Eine abwechslungsreiche Ernährung mit Gemüse, Obst und Lebensmitteln tierischen Ursprungs und die Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Nährstoffen sind die wichtigsten Strategien, um eine Anämie aufgrund von Nährstoffmangel zu vermeiden. Auch ein ausreichender Fettgehalt der Beikost ist wichtig, um die Aufnahme fettlöslicher Vitamine, die für die Blutbildung erforderlich sind, zu ermöglichen und das Kind mit ausreichend Kalorien zu versorgen (WHO, 2017, S. 29 und 32).

eine Sammlung gesunder Lebensmittel wie Fisch, Fleisch, Gemüse usw.
Nährstoffreiche Beikost für Babys enthält tierische, eisenreiche Nahrung wie Fisch, Fleisch und Eier, grünes, rotes und gelbes Gemüse, verschiedene Obstsorten und Öl. Getreideprodukte und Backwaren sind jedoch nährstoffarm und verschlechtern die Nährstoffversorgung. (© Alexander Raths, Fotolia)

Gute Quellen für Eisen sind Fleisch (ganz besonders rotes Fleisch) und Fisch. Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln wird nicht so gut aufgenommen wie aus tierischem. Die Bioverfügbarkeit von Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln kann durch die Zugabe von organischen Säuren wie Zitronensäure (in Zitrusfrüchten wie Orangen oder Zitronen), Apfelsäure und Ascorbinsäure (Vitamin C) verbessert werden. Auch die Zugabe von Häm-Eisen aus tierischen Lebensmitteln (insbesondere Rind, aber auch Lamm, Schwein, Leber oder Hähnchen) erhöht die Bioverfügbarkeit von pflanzlichem Eisen aus einer Mahlzeit. Methoden der Lebensmittelverarbeitung (Einweichen, Fermentieren, Erhitzen, Zerkleinern/Zermahlen oder Pürieren) kann die Bioverfügbarkeit von pflanzlichem Eisen ebenfalls verbessern (WHO, 2017; S. 29). Eine Kombination aus diesen Strategien unterstützt die beste Eisenversorgung von kleinen Kindern (WHO, 2017, S. 29).

In vielen Kulturen ist es unüblich, Babys Fleisch als Beikost zu geben. Möglicherweise ist diese Auffassung Erbe patriarchalischer Gesellschaften, in denen Fleisch Männern vorbehalten wird. Allerdings ist der Eisen-Bedarf ausgerechnet bei Männern am niedrigsten und bei Babys und Kleinkindern am höchsten. Eine Kampagne in Großbritannien im letzten Jahrhundert zur Verbesserung des Ernährungsstatus der Bevölkerung mit dem Slogan „Don’t let Dad get all the meat“ („Lass nicht zu, dass Vater das ganze Fleisch bekommt“) half, die Nährstoffversorgung von Frauen und Kindern zu verbessern und die Häufigkeit von Eisenmangelanämie zu reduzieren (Palmer, 2011). Viele Eltern sind aufgrund des Umwelt- und Tierschutzes Vegetarier. Im Erwachsenenalter kann eine vegetarische Kost eine gesunde und sinnvolle Alternative sein, sie erhöht allerdings das Risiko einer Eisenmangelanämie, vor allem im Säuglings- und Kleinkindalter. Es sind die kleinen Kinder, die den höchsten Anteil an tierischer Kost benötigen, um ihren hohen Bedarf an Eisen und weiteren Mikronährstoffen wie Zink zu decken (Palmer, 2011).

In vielen Ländern der Welt ist mit Eisen und anderen Mineralstoffen und Vitaminen industriell angereichertes Babygetreide (iron-fortified baby cereal) erhältlich. In Deutschland finden sich in den Regalen für Babynahrung Getreide-Milchbreie, welche mit Folgemilch-Pulver und vielen Mineralstoffen und Vitaminen künstlich versetzt sind, u.a. mit Eisen in der von den Fachgesellschaften empfohlenen Konzentration. Einzelne Firmen führen auch eisenangereicherten Babyreis ohne Milchpulver. Die WHO (2017) und ESPGHAN (Domellöf et al., 2014) empfehlen eine solche Eisenanreicherung von Baby-Getreide, um vor allem die Eisenversorgung von Babys sicherzustellen, da Getreide bekanntlich nährstoffarm und eine schlechte Quelle für Eisen ist. Diese Empfehlung ist allerdings nicht unumstritten (Palmer, 2011). Denn, wie die Menschheitsgeschichte zeigt, ist es grundsätzlich möglich, Kinder ohne künstliche Zusätze, nur mithilfe natürlicher Lebensmittel mit allen Nährstoffen gut zu versorgen. Empfehlungen zu industriell angereicherten Lebensmitteln fördern außerdem die Abhängigkeit von der Nahrungsmittelindustrie. Es gibt keine Notwendigkeit, Getreide als Beikost zu geben.

Bekannte Eiseninhibitoren wie Tee sollten nicht gleichzeitig mit den Mahlzeiten verzehrt werden. Wird ein Abstand von 1–2 Stunden eingehalten, findet keine Hemmung der Eisen-Absorption mehr statt (WHO, 2017, S. 29 und 30). Nach Bedarf gestillte Babys, die nur kleine Mengen essen, brauchen jedoch keine weiteren Flüssigkeiten außer Muttermilch. Erhält das ältere Baby oder das Kleinkind auch Milchprodukte (Milch, Käse, Joghurt usw.), sollten diese ebenfalls nicht zu den Mahlzeiten verzehrt werden, sondern als Snack zwischendurch, um die Eisenaufnahme aus der Mahlzeit nicht zu behindern (WHO, 2017, S. 30). Kuhmilch im ersten Lebensjahr sollte allerdings am besten ganz vermieden oder stark eingeschränkt werden, weil sie das Risiko von Eisenmangel erhöht (Eussen et al., 2015). Für gestillte Babys und Kleinkinder ist Muttermilch die beste Milchquelle.

Ein vergleichsweise modernes Problem ist der hohe Anteil von Lebensmitteln (auch Getränken) für Babys und Kleinkinder mit Zuckerzusatz (Muleviciene et al., 2018). Zuckerzusatz erhöht nicht nur die Gefahr von Übergewicht und Karies, sondern vermindert auch die Nährstoffdichte der Nahrung. Leere Kalorien sind bei Babys und kleinen Kindern, die für ihre gesunde Entwicklung auf eine hohe Nährstoffdichte der Beikost angewiesen sind, besonders schädlich.

Brei oder Fingerfood?

Kleinkind im Hochstuhl mit Latz und selbstessend
Um den hohen Eisenbedarf zu decken, sollte auch beim Baby-led-Weaning jede Mahlzeit eisenreiche Kost mit hoher Bioverfügbarkeit enthalten, wie Fleisch oder Fisch, eisenreiche pflanzliche Nahrung zusammen mit Zitrusfrüchten oder Vitamin-C-reichen Gewürzen oder Obst-/Gemüsesorten. (© Kristin Gründler, Fotolia)

In jüngster Zeit setzt sich bei der Beikosteinführung das so genannte Baby-Led-Weaning (BLW) durch. Während Babys konventionellerweise Brei mit dem Löffel gefüttert bekommen, erhalten sie beim BLW von Beginn an greifbare Lebensmittel (Fingerfood), die sie sich selber in den Mund stecken (Rapley, 2011). Auf diese Weise können Babys in ihrem eigenen Tempo selbstbestimmt essen lernen. Beim BLW werden Babys nicht genötigt, den angebotenen Brei zu essen. Die Bedürfnisse des Babys, sein Erkundungsdrang und sein Appetit bestimmen, wann, was und wie viel es aus einem gesunden Angebot isst. Mögliche Vorteile des BLW sind mehr Freue am Essen, die Entwicklung eines gesunden Essverhaltens und ein möglicher Schutz vor Übergewicht (Rapley, 2011). Es gibt jedoch auch Bedenken gegenüber von BLW, unter anderem die Befürchtung, dass Babys bei dieser Ernährungsform zu wenig Nährstoffe und insbesondere zu wenig Eisen erhalten und somit ein erhöhtes Risiko für eine Eisenmangelanämie entwickeln (Daniels et al., 2018). Eine erste Untersuchung dieser Fragestellung kam zum Schluss, dass durch BLW ernährte Babys weniger als halb so viel Eisen zu sich nehmen wie konventionell mit Löffel gefütterte Babys. In der BLW-Gruppe nahmen in dieser Untersuchung die teilnehmenden Kinder im Alter von 6 bis 8 Monaten 1,6 mg Eisen am Tag zu sich, in der Breigruppe 3,6 mg Eisen am Tag (Morrison et al., 2015). In einer modifizierten Version von BLW, bei der die Eltern angewiesen wurden, von der ersten Beikost an bei jeder Mahlzeit auf einen hohen Eisengehalt – in Form von rotem Fleisch oder eisenangereichertem Getreide – zu achten, stieg die Eisenaufnahme auf 3,0 mg Eisen am Tag und war in beiden Gruppen (modifizierte BLW- und konventionelle Beikost-Gruppe) gleich hoch (Daniels et al., 2018). Insgesamt war die Eisenaufnahme jedoch immer noch deutlich geringer als von den offiziellen Leitlinien empfohlen (7–8 mg Eisen / Tag). Im Alter von 12 Monaten hatten 17% der teilnehmenden Kinder einen suboptimalen Eisenstatus und 5 bis 7% hatten eine Eisenmangelanämie, wobei die meisten Babys in der Studie früh abgenabelt worden waren, d.h. vergleichsweise geringe Eisenreserven mitbrachten (Daniels et al, 2018).

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Risiko einer Eisenmangelanämie durchaus gegeben und beim traditionellen Baby-led-Weaning im Vergleich zur Breifütterung möglicherweise erhöht ist. Um dieses Risiko zu reduzieren, erscheint es sinnvoll, auf einen hohen Eisengehalt jeder Beikostmahlzeit zu achten. Insbesondere bei Babys mit geringen Eisenreserven (z.B. aufgrund von früher Abnabelung oder geringem Geburtsgewicht) könnte das Anbieten von Gemüse-Fleisch/Fisch-Breien mehrmals am Tag möglicherweise helfen, eine gute Eisenversorgung zu gewährleisten, während gleichzeitig auch Fingerfood zum Essenlernen und Experimentieren angeboten werden kann. Die Fütterung kleiner Mengen mehrmals am Tag wird von der WHO als Methode zur Beikostgabe empfohlen (WHO, 2003) und wird von gestillten Babys häufig besser akzeptiert als das Ersetzen ganzer Stillmahlzeiten durch Beikostmahlzeiten.

Zusammenfassung

Muttermilch ist arm an Eisen, wahrscheinlich weil im Zuge der menschlichen Evolution eine gute Eisenversorgung von Säuglingen bereits durch die angeborenen Eisenreserven und eine eisenreiche Beikost sichergestellt war. Das Auftreten einer Eisenmangelanämie unter Babys und Kleinkindern ist ein relativ neues Problem – in der frühen Menschheitsgeschichte verlief der Übergang vom Stillen zur Familienkost ohne Nährstoffmangel. Ein wesentlicher Grund von Eisenmangel unter kleinen Kindern könnte die einseitige, Nährstoff- und insbesondere Eisen-arme Ernährung auf Getreidebasis seit der neolithischen Revolution vor 10.000 Jahren sein, als die Menschen sesshaft wurden und von Jagen und Sammeln auf Landwirtschaft umstiegen. Erschwerend kommen moderne Routinen in der Geburtshilfe hinzu, bei der die Nabelschnur durchtrennt wird, bevor sie auspulsiert (frühe Abnabelung). So erhalten Neugeborene nicht die Eisenreserven, die ihnen von Natur aus zustehen.

Das Still-Lexikon ist auch FÜR DICH und Euer Baby! Bitte unterstütze es mit einer Spende!Zurzeit empfehlen alle medizinischen Fachgesellschaften, eisenreiche Beikost spätestens mit Beginn des 7. Monats einzuführen, um einer Eisenmangelanämie vorzubeugen. Diese Empfehlung ist zwar theoretisch sinnvoll, aber viele nach Bedarf gestillte Babys zeigen erst später Interesse an Beikost und essen bis Ende des ersten Lebensjahres oft nur kleine Mengen.

Wäre die späte Abnabelung die gängige Routine an Geburtskliniken, könnten gesunde Babys mit einem Geburtsgewicht über 2.500 g mindestens 8 Monate und möglicherweise sogar 12 Monate oder länger ausschließlich oder überwiegend gestillt werden, ohne dass sie an einer Eisenmangelanämie erkrankten, zumal in den hochentwickelten westlichen Ländern mütterliche Anämien, Parasiten und Durchfallerkrankungen, welche in unterentwickelten Regionen der Welt zu einer hohen Prävalenz von Eisenmangelanämie beitragen, kaum vorkommen.

Leider ist es nicht bekannt, wie verbreitet frühe und späte Abnabelungsroutinen an deutschen Geburtskliniken sind und wie lange individuelle Babys hierzulande ausschließlich gestillt werden können, bevor sie eine Eisenmangelanämie entwickeln. Es sind zu diesen Fragestellungen in Deutschland noch keine Untersuchungen veröffentlicht worden. Sollte ein älteres Baby kein Interesse an Beikost haben oder nur sehr geringe Mengen eisenreicher Beikost essen, kann eine Blutuntersuchung durch den Kinderarzt Auskunft darüber geben, ob es gegebenenfalls Eisensupplemente braucht. Während der Blutentnahme können neben schmerzlindernden Salben auch Stillen und Ablenkung z.B. durch Spielen oder Vorlesen die Schmerzen lindern. Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 2500 g brauchen je nach Rücksprache mit dem Kinderarzt schon früh Eisensupplemente.

Die angebotene Beikost sollte von Anfang an eine hohe Nährstoffdichte und insbesondere einen hohen Gehalt an bioverfügbarem Eisen aufweisen. Dies ist gerade für Babys, die nur winzige Mengen essen, von großer Bedeutung. Die besten Eisenquellen sind Fleisch und Fisch. Gemüse und Früchte liefern viele weitere Nährstoffe für die Blutbildung und eine gesunde Entwicklung, die Zugabe von Öl ist für die Aufnahme fettlöslicher Vitamine und eine ausreichende Kalorienzufuhr wichtig. Kuhmilch und Milchprodukte erhöhen das Risiko einer Eisenmangelanämie und sollten, wenn überhaupt, im ersten Lebensjahr nur in geringen Mengen angeboten werden. Getreide ist eine schlechte Eisenquelle, nährstoffarm und als erste Beikost wenig geeignet, obwohl sie in vielen Kulturen der Welt die typische erste Beikostmahlzeit darstellt. Wenn Getreide als Beikost angeboten wird, dann eignen sich Sorten mit hohem Eisengehalt, vermischt mit Vitamin-C-reichem Obst, Gemüse oder Saft. Denn die Eisenaufnahme aus pflanzlicher Nahrung kann durch Zitronen- oder Orangensaft oder Vitamin-C-reichen Gewürzen verbessert werden. Auch die gleichzeitige Gabe von Fleisch und Fisch verbessert die Bioverfügbarkeit pflanzlichen Eisens.

In vielen Ländern ist industriell mit Eisen und anderen Mineralstoffen und Vitaminen angereichertes Babygetreide als Beikost erhältlich. Dieses wird von der WHO und anderen medizinischen Fachgesellschaften als mögliche Alternative oder Ergänzung zum Fleisch und Fisch empfohlen, ist aber nicht unumstritten, weil es künstlich hergestellt wird und Abhängigkeiten von der Industrie fördert.

Nach Bedarf gestillte und gefütterte Babys und Kleinkinder essen oft spät und nur geringe Mengen Beikost, kehren wieder zum ausschließlichen Stillen zurück und sind generell unberechenbar, ob, was und wie viel sie essen. Umso wichtiger ist es, dass diese kleinen Mengen Nahrung reich an Vitaminen und Mineralstoffen sind und einen hohen Gehalt an Eisen mit guter Bioverfügbarkeit aufweisen.

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